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Konzert-Lesung in der Uni

mit Thomas Anzenhofer & Chris Hopkins

Bochum, 16.06.2022
TEXT: Heinz Schlinkert | FOTO: Heinz Schlinkert

Vorlesung Montag Mittag um 1 im Audimax der RuhrUni, aber kaum Studenten sind da. Dafür hat sich eine beträchtliche Anzahl älterer Zuhörer eingefunden, die man wohl normalerweise nicht dort sieht. Keine Vorlesung, aber gelesen wird schon. Nach zwei Jahren kann wieder ein Lunchtime Concert des Musischen Zentrums der RuhrUni stattfinden. Dazu trägt Thomas Anzenhofer einen Text vor, Chris Hopkins begleitet ihn am Flügel

  • 'Die Karriere des Florenzo Waldweibel-Hostelli’

Zu hören ist ein satirischer Text von Herbert Rosendorfer: 'Die Karriere des Florenzo Waldweibel-Hostelli', in dem es um einen Pianisten geht, der oft zu Hause übt und damit das Missfallen eines Nachbarn erregt. Dieser rächt sich mit dem Spiel auf selbst gebauten 'Instrumenten', einem “teuflischem Instrumentarium”, das möglichst viel Lärm erzeugt. Dabei entwickelt er ungewollt selbst eine Percussion-Performance, die ein Musikkritiker, der gerade den Pianisten besucht, zufällig mitbekommt. Am Ende wird der Nachbar ein berühmter Schlagzeug-Virtuose, während der Pianist völlig unbekannt bleibt.

  • 'Ambivalenz'

Ambivalenz ist das Thema dieser Konzert-Lesung, auch wenn dies auf den ersten Blick nicht so aussieht. Sie besteht darin, dass unsere Wahrnehmung, hier von Tönen und Geräuschen, nicht immer eindeutig ist, also ambivalent. Obwohl der Pianist in der Geschichte die 'Klänge' seines Nachbarn verachtet, werden diese vom Kritiker geschätzt. Und auch der Nachbar selbst – eigentlich Lyriker – muss erst lernen, seine zufällig erzeugten Klanggebilde zu mögen und sich als Schlagzeuger neu zu begreifen.
Ambivalenz ist auch ein Paradigma für die ganze Aufführung, die ja als 'Konzert-Lesung' schon ambivalent angelegt ist. Was ist mir wichtiger, wo höre/sehe ich eher hin, wie bringe ich beides zusammen? Der selektive Blick und das selektive Ohr spielen eine große Rolle. Und das gilt aber auch für die Akteure: Wenn der Sprecher seinen Text mit den Mitteln seiner Stimme und seiner Körpersprache interpretiert, so kann der Pianist den Text ganz anders verstehen und mit seinen musikalischen Mitteln vielleicht ganz anders umsetzen. Wer hat recht? Ambivalent … Genauso wie die satirische Form des Textes, in dem sich der Autor über Musiker, Musikkritiker und Komponisten mokiert, obwohl diese ja selbst auf der Bühne stehen.

Chris Hopkins hats nicht weit, er wohnt in Bochum und hat als international bekannter Pianist schon in der ganzen Welt gespielt; aber im Audimax ist er heute zum ersten Mal. Thomas Anzenhofer ist Schauspieler am Bochumer Theater und besonders durch die Hauptrolle in ‘Tribute to Johnny Cash’ bekannt geworden. Dort spielt er auch Gitarre und singt. Heute aber ist der Vortrag sein Sujet und das gelingt ihm hervorragend. Beide haben ein ähnliches Projekt vor 5 Jahren zum Welt-Aids-Tag durchgeführt und wissen, worauf es ankommt.

  • Text – Vortrag – Musik

Was macht ein Duo nun mit einem Text, den die Leute normalerweise alleine lesen?
Thomas Anzenhofer kann ihn als Schauspieler ganz hervorragend vortragen. Sicher spielt die Stimme eine wichtige Rolle, aber auch seine Körpersprache spiegelt mit jeder Bewegung die Aussagen des Textes. Darüber hinaus setzt er auch seine Mimik ein, auch wenn die nur in den vorderen Reihen genau zu erkennen ist. Beifall gabs während der Aufführung nur für den Pianisten, das kennt man wohl nur vom Jazz.

Der Text ist schon vorher da, die Musik muss Chris Hopkins aber mehr oder minder spontan liefern. Das ist recht recht einfach bei der folgenden Textstelle:

Er spielte lange und komplizierte Tonleitern, um seine Finger geschmeidig zu halten. Er spielte sehr laute Oktavenparallelen, um Kraft in den Gelenken zu bekommen. Er übte säuselnde, elegische, hüpfende oder donnernde Etüden.”

Schwieriger wirds, wenn es im Text darum geht,“ein und dieselbe, vermutlich schwierige Stelle hundertmal hintereinander” zu spielen, dreimal muss da reichen.
Wenn es bei Mozart um das vierhändige Spiel am Klavier geht, kann Thomas Anzenhofer aushelfen.

Die meisten Musikbeiträge haben aber keinen direkten Textbezug. Chris hatte zwar vorher einen Repertoireplan, reagiert nun aber vor allem auf Thomas' Vortrag. Er erzählt mir hinterher, dass er spontan noch einige Titel geändert oder anders gestaltet hat. Stücke von Duke Ellington wie The Mooche gehören dazu, auch wegen der Dur-Moll-Ambivalenz. I Surrender Dear und der Ragtime The Eye Opener sind dabei, mit viel Improvisation.
Ich meine am Ende auch Zarah Leanders Ich weiß es wird einmal ein Wunder geschehen gehört zu haben, aber das weiß man nicht genau, auch das ist wohl ambivalent ...
Im Grunde geht es gar nicht um die Stücke selbst. Wichtiger ist die Interaktion, hier besonders die musikalische Reaktion auf den Vortrag, in der die Stimmung des Vortrags aufgenommen oder auch kontrastiert wird. Das funktioniert sehr gut, weil die beiden gut aufeinander eingespielt sind.

Jede Menge Ambivalenz findet sich in diesem Konzert, doch ambivalent bedeutet nicht beliebig, denn das kann nicht jeder und das macht man nicht mal so nebenbei. Diese Aufführung ist brillant – und diese Aussage ist gar nicht ambivalent, sondern eindeutig!

Herbert Rosendorfer, Die Karriere des Waldweibel-Hostelli, aus: Traum des Intendanten, S. 174-183 © 1984 by nymphenburger in der F.A.Herbig Verlagsbuchhandlung, München
ISBN Hardcover 3-485-00470-7, Taschenbuch 3-423-12055-X

link zum Text im Internet

link zu Konzerten von Chris Hopkins in NRW

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