Klischees und Extremsportler
Audi Jazz Festival Köln 2013
TEXT: Heinrich Fries | FOTO: Gerhard Richter
In den Ehrenfelder Balloni-Hallen fand zum sechsten Mal das dreitägige „Audi Jazz Festival“ statt. Zum Abschluss wurden zwei Echo-Jazzpreisträger als Höhepunkte vorgestellt. Der schwedische Pianist und Wahlhamburger Martin Tingvall gestaltete die erste Hälfte des Nachmittags mit einem Soloprogramm, der Bonner Trompeter Nils Wülker war mit seinem Quintett für das Finale verantwortlich.
Martin Tingvall ist in der Musikwelt vor allem durch sein „Tingvall-Trio“ bekannt geworden. Er gewann mit dieser Formation drei mal den „ECHO-Jazz“ und hat sich auch international einen Namen gemacht. Aber auch außerhalb der Jazzszene ist Tingvall sehr umtriebig. Er arbeit unter anderem als Songwriter für Künstler wie Udo Lindenberg und Gunter Gabriel und komponiert Soundtracks ( „Zweiohrküken“ ). Die Fähigeit Musik zu schreiben, die visuelle Aussagen verstärkt und unterstreicht, hat Ihn überdies zu einem gefragten Komponisten für Werbefilme gemacht. Ein bisschen wartete man während des Konzerts dann auch auf die Schönheit, die, hoch zu Ross mit wallender Mähne, auf die Bühne geritten kommt, oder den Familienvater, der nach einem langen Arbeitstag seine ruhespendende, hochglanzpolierte Mittelklasse-Limousine neben dem Flügel parkt. Tingvall bedient sich aller musikalischen Klischees um seine Vision von Musik umzusetzen, die er den Zuhörern mit „En stjärna faller“ ( Ein gefallener Stern ) zunnächst ganz zart und und unaufdringlich in die Ohren träufelt. „Debbie and the dogs“ ist dann schon deutlich energiegeladener, Tingvall spielt hier sehr funky mit einer guten Portion Blues in seinen Improvisationen. „Det är aska i luften“ ( Ein Gewitter liegt in der Luft ) bildete den energetischen Höhepunkt seines Konzerts, und man kann sich die brodelnde Spannung, die vor einem Gewitter in der Luft liegt, bildhaft vorstellen.
Tingvall ist kein Forscher oder Erneuerer. Er wirkt nicht verhaftet in der Jazztradition, zudem bleiben seine pianistischen Fähigkeiten hinter denen vieler Kollegen zurück, aber seine greifbare Bildsprache wird vom begeisterten Publikum bereitwillig aufgesogen. Am Schluss bleibt, nach einer kurzen Duo-Einlage mit Nils Wülker ein teils verträumtes, teils gelöstes in jedem Fall aber zufriedenes Publikum.
Nach einer Umbaupause betrat nun Nils Wülker mit seinem Quintett die Bühne. Er avancierte über die Jahre zu einem der bekanntesten und erfolgreichsten deutschen Jazz-Musiker. In diesem Jahr erhielt er den ECHO-Jazz in der Kategorie “Instrumentalist des Jahres national”( Blachblasintrumente/Brass ). Mit seinem in leicht veränderter Besetzung spielenden Quartett ( Matthias Nowak – Bass, Ralf Gesler – Drums ), präsentierte er seine neuste CD „Just here just now“.
Die ersten beiden Titel „ Lake side“ und „Walking on air“ geben die Richtung vor. Klar strukturierte, überwiegend ruhig dahinfließende, instrumentale Pop-Musik, die Folk-Einflüsse hinzugewinnt, wenn Arne Jansen zur halbakustischen Gitarre greift. Wülker führt die Band stilistisch an der kurzen Leine, Experimente unerwünscht. Lediglich Jansen, der Wülker schon länger begleitet, traute sich etwas. Er wurde in seinen Soli wirklich gestalterisch tätig, wagte spannungsfördernde Dissonanzen, und bot den Mitmusikern die Möglichkeit an seinen kreativen Output anzuknüpfen. Wülker hingegen zog seine Linie durch, leichte, immer konsonante Melodien die sich der Färbung des jeweiligen Stücks chamäleonartig anglichen. Man hatte zudem den Eindruck die herrvoragend klingende, gut verzahnte Band( Spitze: Matthias Nowak ) müsse sich den Kompositionen unterwerfen, anstatt ihrerseit diese lediglich als Basis für lebendiges, gestalterisches musizieren zu nutzen. So plätscherte das Konzert dahin, teilweise verlor man, angesichts der gewollten Gleichförmigkeit, kurzzeitig die Orientierung. Anscheinend gehört dies aber zum Konzept. Im Unterschied zum Extremsportler Wülker, der in seiner Freizeit, wie er sagte, als Bergführer Hochalpine Felswände durchsteigt, gilt für den Musiker offensichtlich das Prinzip der maximalen Sicherheit.
Das dieses aufgeht, belegten begeisterte Zuhörer, die Nils Wülkers Quintett erst nach einer Zugabe unter Jubel entließen.