Klarinetten-Power-Festival
TEXT: Peter E. Rytz | FOTO: Peter E-. Rytz
Festival an einem Abend: Die geballte Klarinetten-Power im Domicil Dortmund. Multiphonics, ein Klangfestival der Holzblasinstrumente, von der klassischen Klarinette über die Bassklarinette bis zur überdimensionalen Kontrabassklarinette.
Annette Maye , Festivalorganisatorin sowie Klarinettistin rief und viele kamen. Zum Auftakt gibt sie mit der Workshop-Band Multiphonics7 um den Artist in Residence des Multiphonics Festival 2019 Joris Roelofs (bcl) eine Sound-Linie vor. Philosophisch inspiriert von Friedrich Nietzsches Imagination des Seiltänzers, hat Roelofs für das North Sea Jazz Festival 2016 die Suite Rope and Dance – Music for None and All für Fagott, Schlagzeug, Bass, Klavier und Klarinette komponiert.
Wechselnd zwischen Singer-Songwriter-Melancholie und bewusst plumper Langsamkeit erweitert Roelofs Nietzsches Credo, ein Tag ohne Musik sei ein verlorener Tag, in einen Tag ohne zu tanzen sei er vor allem. Hans Lüdemann (p) gibt Akkorde vor, von Maye und Roelofs mit flutenden bis überblasenen Klarinettenobertönen moduliert, von Reza Askari (b) und Dirk-Peter Kölsch (dr) sensibel weitergetragen, kontrapunktiert Alex Simu spektakulär mit der Bassklarinette. Christoph Pepe Auer (cl) unterstützt an der Seite von Maye den Sound mit rhapsodisch gestreuten Einfällen.
Das Konzert wirkt mit seiner Orientierung am Nietzscheanischen Skeptizismus Die ewige Wiederkehr des immer Gleichen insgesamt hochwohlmögend angestrengt, sich selbst dabei überfordernd. Das eigentlich Improvisatorische fügt sich insgesamt nicht wirklich zu einer musikalisch überzeugenden Suite, in der das Apollonische und das Dionysische über die Behauptung hinauskommen.
Mit der Pepe Auer – White Noise Band nimmt das Festival straight ahead Fahrt auf. Den Begriff White Noise, weißes Rauschen, entlehnt aus der Ingenieurswissenschaft adaptiert Pepe Auer für den Titel seiner neuesten Quartett-CD in doppelter Hinsicht.
Einerseits erheben sich die Töne in höhenbetonte Klangräusche. In synästhetischer Suggestion transformieren sie sich auf der Kontrabassklarinette zu weißgefärbten Raumklängen. Andererseits hat Auer als technischer Tüftler dafür ein Instrument entwickelt, das er selbstbewusst als Pepephon bezeichnet. Überdimensioniert in den Ausmaßen von mehr als 2 Meter Höhe ist es ein Hingucker. Die erzeugte archaisch warm anmutende Klangfarbe lässt viel Raum zum Meditieren.
Auer performt in Dortmund die CD White Noise, außer mit dem gestisch und körperlich engagiert spielenden Cellisten Clemens Sainitzer an den Drums sowie am Klavier und Synthesizer mit anderen Musikern. Das Live-Konzerts mit Christian Grobauer (dr) und Phil Nykrin (p, synth) mit der CD-Aufnahme - Mike Tiefenbacher (p); Gregor Hilbe (dr) – zu vergleichen, macht beim Nachhören keinen wesentlichen Unterschied aus. Allerdings ist, wie bei allen Live-Konzerten der unmittelbar subjektive Eindruck nicht durch eine noch so gute Abmischung zu ersetzen.
Die dynamische Präsenz, der ungeschminkte Eindruck des Pepe-Auer-Augenblicks hält das begeisterte Publikum sogartig gefangen. Mit Golden Hour verzaubert, hallt White Voice im Domicil wie eine Hommage an die Kontrabassklarinette (so ein Titel extraordinär!), respektive an das Pepephon. Finally kommt viel zu früh, wie der fordernde Beifall schließen lässt. Aber das Festival hat noch mehr zu bieten.
Von Musikzeitschriften mit Musik als Akt der Freiheit bezeichnet, lässt Kinan Azmeh mit seiner New Yorker City Band den arabisch orientalischen Zauber von 1001 einer Nacht mit seinem biografischen Hintergrund von Flucht und Vertreibung aus seiner syrischen Heimat vor mehr als drei Jahrzehnten zusammen treffen.
Seine Klarinette tönt in Dance from the Roof-top in the Distance-scene geheimnisvoll und dunkel. Gemeinsam mit dem kongenialen Kyle Sanna -seine Gitarre klingt manchmal wie ein Oud -, Josh Myers – in traumverlorener Unfehlbarkeit konnotiert sein Bass empathisch - und John Hadfield – mit perkussiv temperierter Sinnlichkeit - entsteht ein Klangkosmos, in dem die heute verschwundenen Pflanzen, Bäume und Menschen von Azmehs Dorf nahe Damaskus scheinbar wieder zu neuem Leben erweckt werden.
Kinan Azmehs Musik atmet virtuos und leidenschaftlich die Welt einer Musik, die über den starren Abgrenzungen von Klassik, Jazz und Weltmusik schwebt. Ein engagierter Demokrat als Musiker, der die Nabelschau einer Musik des Schönklangs weit hinter sich verlässt. Auch, oder gerade weil sie harmonische Schönheit nicht verleugnet, klingt sie umso authentischer. Ich habe nur dieses Stück Holz mit seinen Silberklappen. Damit kann ich niemanden satt machen und auch keine Gewehrkugeln aufhalten. Aber ich kann mit meiner Musik Menschen zum Nachdenken bewegen und sie für einen Moment glücklich machen.
Worte, denen nichts hinzuzufügen ist. Multiphonics, übersetzt als Multi Phonics, einer Phonetik von Sprachlauten, die auf das aufmerksam macht, was man hören und wovon man reden kann. Kinan Azmeh New York CityBand ist einer ihrer authentischsten Botschafter.