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Klang-Räume

"Music in the Dark" in den Kasematten von Luxemburg

Luxemburg, 30.08.2016
TEXT: Stefan Pieper | FOTO: Stefan Pieper

Die Bespielung historischer Örtlichkeiten, die dadurch aus ihrer musealen Erstarrung heraustreten, nicht länger nur Kulisse sind, hat im Ruhrgebiet schon lange Tradition - und wird auf vielfältige Weise mit viel Engagement betrieben. Luxemburg hat zwar nicht diese gewaltigen post-industriellen, aber dafür andere, nicht minder spannende Lokalitäten zu bieten. Und diese für theatralische oder musikalische Inszenierungen zu nutzen, hat hier immer noch vergleichsweise Pioniercharakter. In dieser Hinsicht hatte eine bemerkenswerten Uraufführung in den alten Kasematten mitten in der Stadt geradezu Vorbildcharakter. Weiter so, kann man nur sagen!

Die Casemates du Bock markieren eine eigenartige Mischung aus Burg und Höhlengewölbe. Sie haben in der wechselvollen Geschichte dieses kleinen Landes immer wieder eine strategisch-wichtige Rolle gespielt. Mit spektakulären Tiefblicken auf die Alstadt von Luxemburg stimuliert dieser Ort auf Anhieb die Fantasie. Und eben auch die kompositorische Fantasie der bulgarisch-stämmigen Komponistin Albena Petrovich-Vratchanska, um in einem improvisatorisch-musiktheatralischen Stück das labyrinthische Geflecht psychischer Innenwelten wirklich hautnah erfahrbar werden zu lassen.

Vereinzelt fallen Wassertropfen von der Decke des höhlenartigen Raumes. Sie vermengen sich mit den Tönen, Klangereignissen und Stimmfetzen, die das Höhlengewölbe gespenstisch durchdringen.

Alles kommt aus allen Richtungen in diesen weitverzweigten Labyrinthen, deren künstlerische Bespielung so spektakuläre Möglichkeiten bietet und daher so überfällig erscheint. Die vielen Nischen erlauben die perfekte Verteilung der Ausführenden und ihrer Klangerzeuger. In diesem Fall handelt es sich um die französische Sopranistin Donatienne Michel-Dansac und die Instrumentalisten des Luxemburgischen Ensemble Lucilin, einem der vielfältig aufgestellen Spezialensembles für Neue Musik, vielleicht in etwas mit dem hiesigen Ensemble Modern vergleichbar.

„Ich bin ich und doch ganz viele“ - und dies aus dezidiert weiblicher Perspektive - könnte man als Grundanordnung dieser Komposition ansehen. Dunkel und mit Widerstreit zuhauf geht es zu in der Unterwelt des Bewusstseins. Um diesen Tiefgang zu stemmen, setzt „Music in the Dark“ auf die Konzentration von reiner Musik und verzichtet dafür weitgehend auf szenische Inszenierungen -die mächtige Atmosphäre dieses unvergleichlichen Ortes ist ohnehin atemberaubend genug. Tumulthaft wirkt der Prolog, wenn sämtliche Akteure von draußen hereinkommen, sich in hitziger Lautpoesie ergehen, in die sich harte perkussive Schläge mischen. Dann nehmen Donatienne Michel-Dansac und die InstrumentalistInnen ihre Positionen in mehreren Nischen des Höhlengewölbes ein. Die vielgestaltigsten Klänge und ebenso unberechenbaren Vokalparts erzeugen auf Anhieb eigenwillige Spannungszustände in dieser schier beängstigenden Räumlichkeit. Sphärische Drones einer Bassflöte oder eines Synthezisers reiben sich mit funkelnden Streicherclustern. Holzblöcke pochen beunruhigend. Nudelhölzer rollen über das Fell der Kesselpauke. Eine tiefe Flöte kommentiert das Geschehen, oder es ergeht sich ein Saxofon in hysterischen Flagoletts. Die Leistung von Albena Petrovich besteht in der dezidierten Ausformulierung einer zwingenden Rhetorik mit solch mutig eingesetzten Mitteln.

Selten hat man in gerade mal einer Stunde eine nachhaltigere Auflösung von jedem Zeitgefühl erlebt. Alle Hierarchien scheinen aufgehoben: Instrumente und Stimme könnten gleichermaßen selbstständige Akteure sein. Viele Kompositionen oder auch -weiter gefasst – Anordnungen von Karlheinz Stockhausen funktionieren nach diesem Prinzip. Der legendäre Neutöner aus Köln übt auf Albena Petrovic nach eigenem Bekunden ja auch eine starke Ausstrahlung aus.

Man fühlt sich hier wie alles andere, nur nicht wie ein konventioneller Konzertbesucher, wie er sonst aus der Distanz des Plüschsessels ein Bühnengeschehen goutiert. Der rauhe Charme von schroffen Felswänden, kühler Zugluft, unheimlichen Hall-Wirkungen und ebenso diese mit nichts vergleichbare Musik haben hier jeden zum Teilnehmer werden lassen.

Eine Inszenierung wie diese hat unbedingten Vorbildcharakter. Denn so etwas hilft zu sensibilisieren für alle erdenklichen ästhetischen Abenteuer mit ungeahnten Klängen und Erfahrungen - werden sie nun zur Neuen Musik, zur freien Improvisation oder wozu auch immer gerechnet...

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