Klänge und Farben wurden eins miteiander
Tomeka Reid plus Recursion in der Moerser Stadtkirche
TEXT: Stefan Pieper | FOTO: Stefan Pieper
Die eine geht, die anderen kommen – und damit wechseln sich jedes Jahr aufs Neue jene künstlerische Farben ab, die in Moers jenseits des großes Festivals ganzjährig wirken, seit sich im Jahr 2008 alljährlich die Improvisor in Residence abwechseln. Die diesjährige Übergabe von der Cellistin Tomeka Reid zum Recursion-Kollektiv in der Evangelischen Stadtkirche war aber mehr als eine solche, sondern lief auf Verschmelzung hinaus. Konsequenter lässt sich wohl eine Venue nicht mit allen Sinnen bespielen.
Ein Streichinstrument, eine E-Gitarre und ganz viele Elektronik plus eine konsequent auf die Spitze getriebene Lichtregie und dies in einem Gebäude, das während dieser intensiven Stunde so funktionierte, als wäre es zu nichts anderem, als diesem Zweck gebaut worden. Das konnte man zumindest imaginieren inmitten dieses synästhetischen Strudels aus Klang, Tönen, Farben, Frequenzen und Lichtimpulsen. Zum Instrumentarium gehört auch eine elektrische Gitarre. Noch mehr Bedeutung hat das riesige Arsenal aus Effektgeräten. Die beiden anderen Mitstreiter von Recursion agieren ohnehin „nur“ an großen Pulten mit vielen Kabeln. (Wie das alles zusammen funktioniert, welche Geheimnisse sich hinter dem Gerätepark noch verbergen, wird bald Gegenstand einer Hintergrundreportage über die Arbeit von Recursion mit ihren modularen Synthesizern sein.)
Tomeka Reid, die universelle amerikanische Cellistin, zu diesem Anlass noch einmal aus Chicago nach Moers angereist kam, geht geschmeidig in diesem Setup auf. Ein fünfter, ebenso wichtiger Improvisator entzieht sich auf der Empore den Blicken – es ist der Lichtdesigner Valentin Brux, der hier einen wichtigen Part leistet. Musik aus Klängen, die den freien Raum erkunden. Es knarzt, zirpt, knattert, wabert, schwirrt, pulsiert. Dreidimensional und in einer Transparenz, welche erstaunliche Details offenlegt und welche in der Moerser Stadtkirche mit ihrer klaren Akustik schon Grundlage für so manches Klangabenteuer war.
Fantasie in Echtzeit
Die drei Elektroniker beherrschen ihr Handwerk, aus allem eine Dramaturgie zu bauen, auf der sich Tomeka Reid mit ihren akustischen Interventionen bestens getragen fühlt. Musik braucht keine Tonabstände oder Notenwerte, sondern kann sich akustisch viel konkreter gebärden, wenn das ganze Hörspektrum und die Fantasie der Ausführenden zur Echtzeit-Partitur wird. Bei aller Verschmelzung scheint der Celloklang in seiner Komplexität, geformt, manipuliert und durch Veränderung des Bogendrucks auf den Saiten aus einer anderen Galaxis kommen. Ohnehin kann die Tonerzeugung dieses Instrument mit seinem ganzen Obertonreichtum jeder elektronischen Klangsynthese das Wasser reichen. Synästhetiker würden schon bei dem ganzen akustischen Veränderungen des Klanggeschehens Farbwechsel assoziieren - für alle anderen hilft Valentin Brux mit seinem potenten Equipent von der Empore aus nach: Gespenstische Lichtfinger weisen den Weg durch den Trockeneisnebel. Die Decke des Raumes, mit ihrer Kuppel und einem filigranen Kronleuchter an der Spitze ist mal in rot, dann in tiefes blau getaucht, Farbtemperaturen, die sich mit den warmen und kühlen, weich wabernden oder brillant plastischen, archaischen und technischen Klängen vermengen, diese verstärken und mit geometrischen Figuren beantworten.
Eingespielte Kooperation
Die Kooperation mit der Evangelischen Stadtkirche ist eines der vielen gelungenen Beispiele für eingespieltes Miteinander zwischen dem Festival und der Stadt Moers. Das war nicht immer so in der Geschichte des Festivals, aber zieht nun doch jenseits von Pfingsten umso öfter in die sympathische Stadt am Niederrhein. In diesem Sinne lobte auch die stellvertretende Moerser Bürgermeistern Claudia van Dyck den bereichernden Effekt, in der sympathischen Stadt am Niederrhein regelmäßig die „ganze Bandbreite der neuen Musik“ erfahren zu können.
Recursion sind die 16. Improvisor in Residence in Moers und haben einiges vor in diesem Jahr. Schon am nächsten Samstag, 28. Januar, laden Christopher Retz, Steven Koch und Jan Krause zu einem Kennenlern-Abend in der Improsisor-Residenz ein. Beginn ist 19 Uhr