Klänge, Farben, Theater, Improvisation
Ruhrtriennale nimmt kreative Freiheit ernst
TEXT: Stefan Pieper | FOTO: Heinrich Brinkmöller-Becker | Ruhrtriennale 2015
„Writing about music is like dancing about architecture“ sagt Laurie Anderson – und da man dies nicht so gut kann, weicht derjenige, der über Musik zu schreiben hat, immer wieder gerne in Bilder aus. Klang-Farben füllen imaginäre Leinwände, Töne, Gesten, Motive, und sonst was wird munter hin und hergeworfen. Und Musik kann auch, wenn sie eine Message transportiert, „großes Theater“ sein. Und so weiter.
Bei einer Performance der Ruhrtriennale wurde all dies plötzlich entwaffnend konkret. „Wie die Orotschen sagen“ lautet der skurrile Titel einer Performance, unter dem man sich ohne weiteres Einlesen erst mal nichts vorstellen kann. Und das ist auch gut so, denn das öffnet das unmittelbare Erleben in der Maschinenhalle Essen:
Eine Darstellerin steht auf einem Kasten, lässt einen Gegenstand an einer Schnur in der Luft rotieren, was leise zischt. Ineinander verschränkt, sich berührend, stoßend, Grimassen ziehend, sind drei Musiker gar seltsam auf der Bühne unterwegs. Ja, sie spielen auch auf ihren Instrumenten, aber das ist kein Selbstzweck, sondern Bestandteil von Aktionen, die skuriller werden, aber auch etwas Leichtes Verspieltes, Dadaistisches haben.
Aber, was die drei machen, ist noch viel mehr. Denn Peter Jaquemyn, Kontrabass, Gunda Gottschalk, Violine, Carl Ludwig Hübsch, Tuba, sowie Sigrid Tanghe, Live-Painting und Videoprojektion, sind profunde Improvisatoren, die wissen, was sie wollen und tun. Und die bei aller Abgedrehtheit in diesem Bühnengeschehen dem hohen künstlerischen Standard der Ruhrtriennale in jedem Moment gerecht werden!
Klänge werden erzeugt und dazu eine poetische visuelle Ebene kreiiert. Die Töne auf dem Bass, zuweilen mit zwei Bögen gestrichen, verbinden sich mit einer ätherischen Violine, die allerhand Lagen und Spektren im imaginären bzw. akustischen Raum ausfüllt. Die Aura wirkt oft latent entrückt, nie erdrückend und lässt immer genug Luft und Raum zum Atmen, vor allem - zum Schweifenlassen der Fantasie. Die Performance durchläuft mehrere Stadien mit wechselhaftem Charakter.
Von verspielt geht es in Richtung expressionistisch, vor allem bei vielen theatralischen Körperposen. Klangwelten verdichten sich, denn diese Musiker können und wollen ihre Instrumente auch kompromisslos behandeln. Gipfelnd etwa in virtuoser und harscher Saitenartistik. Mit viel sonorer Wucht, mit der Peter Jacqueline die Saiten beackert, mit sphärisch gleißenden Flagolett-Glissandi von Gunda Gottschalk, die an diesem Abend ganz besonders entrückt auf der Bühne unterwegs ist. Wie Hübsch phasenweise mittels seiner Luftströme die Tuba regelrecht zum Perkussionsinstrument mutieren lässt, schenkt dem aufmerksam hörend Eintauchenden ebenfalls neue Erfahrungen.
Eine gleichberechtigte, oft schon über dem gestisch-instrumentalen Geschehen drüber stehende Mit-Improvisiererin ist Sigrid Thange, die an diesem Ort eine perfekte Vereinigung zwischen Musik und bildender Kunst vollführt. Aufmerksam jede Klangnuance und Ton-Geste einsaugend, setzt dies ihren Pinsel in Bewegung. Die Aquarellfarbe fließt reichlich auf feuchte Papierbögen, die per Kamera groß in den Raum hinaus projiziert werden. Strukturen, Texturen, Farben, Kalligrafien, visuelle Harmonien, gezeichnete Rhythmen – Akustik, Klang, Musik, Aktionen und die Bildkraft der Malerei, dies vereint sich hier alles so geschmeidig, wie es Tanzpartner miteinander tun. Ob man doch auch zu Architektur tanzen kann?
Überhaupt ist die Beschäftigung mit Tanz eine wichtige Ideenquelle für dieses Projekt gewesen. „Wir haben schon so viele Live-Improvisationen zusammen mit Tänzerinnen und Tänzern gemacht. Da entstand einfach der Wunsch, auch mal selber viel physischer und mit mehr Bewegung und spontanen Aktionen zu agieren“ erzählt Gunda Gottschalk nach dem Auftritt die Vorgeschichte. Vor allem: „Der Raum hat uns sehr stark inspiriert, wir haben tagelang die Atmosphäre dieser Maschinenhalle auf uns wirken lassen und damit gearbeitet.“