Kinga Glyk & Band
E-Bass als Melodie-Instrument
TEXT: Heinz Schlinkert | FOTO: Heinz Schlinkert
Das war wirklich ein Erlebnis. Der Elan und die Virtuosität, die Kinga Glyk am 17. September in Herdecke an den Tag legte, waren beeindruckend. Ihren Hut als Markenzeichen braucht sie eigentlich gar nicht, denn ihr freundliches Wesen und ihr Spiel mit dem E-Bass sorgen dafür, dass man sie nicht so schnell vergisst.
- Kinga & Band
Bass im Jazz, damit sind viele berühmte Namen verbunden, Mingus, Garrison, Swallow. Beim E-Bass wird’s schon enger, Marcus Miller, Jaco Pastorius natürlich, aktuell Will Lee, doch Frauen sind da Mangelware. Kinga Glyk hat aber nicht nur deshalb ein Alleinstellungsmerkmal.
Beim ihrem ausgebuchten Konzert in Herdecke stellt sie ihre CD Feelings vor. Pawel Tomaszewski spielt Keyboard mit allerhand elektronischen Erweiterungen, er hat das Album auch produziert. Neu dabei sind Arek Grygo (keys) und Cezary Konrad (drums). Kingas Bruder Patryk Gyk ist als Sound Engineer für den perfekten Ton zuständig.
- Location 'Werner Richard Saal' in Herdecke
Jazz in Herdecke? Das ist in NRW bisher nicht so bekannt. Der Werner Richard Saal wurde schon 2001 im Garten des nach ihm benannten Stifters eingeweiht. Jazzkonzerte finden dort seit ein paar Jahren statt, 270 Zuhörer finden auf zwei Ebenen Platz. Der Umbau erfolgte nach Plänen, die aus zwei Wettbewerben an der FH Bochum hervorgegangen waren. Ein schönes Foyer mit Stehtischen und zwei Besprechungsräume gehören dazu. Bei einer Location dieser Größe ist man der Band sehr nahe und kann auch Details wie Blicke und Mimik beobachten. Faszinierend ist die Lichttechnik, mit der die Wände in wechselnden Farben in einem Muster angestrahlt werden. Da es nun früher dunkel wird, schafft sie eine frühherbstliche Stimmung, die gut zu der Musik passt.
- Kinga Glyk
Kinga Głyk ist noch jung. 1997 kam sie als Tochter des polnischen Vibraphonisten Irek Głyk auf die Welt. Mit einem Video von Claptons Tears in Heaven wurde sie 2016 zum YouTube-Star und bereits ein Jahr später trat sie bei den Leverkusener Jazztagen auf. Ihr viertes Album "Feelings" hat sie schon am 22. August beim Europa Open Air 2022 in Frankfurt zusammen mit der Frankfurt Radio Big Band präsentiert. Die meisten Stücke hat sie selbst geschrieben. Schon vor vier Jahren ist sie hier in Herdecke aufgetreten, als sie noch gar nicht so bekannt war.
- Some Funky Groove
Das Konzert beginnt mit Let's Play Some Funky Groove, dem ersten Stück ihrer CD, und das groovt wirklich ganz schön. Pawel Tomaszewski agiert am Keyboard mit allerhand elektronischen Effekten, Soundflächen wabern durch den Raum. Schon jetzt stellt Kinga die Band vor, sie kennt keine Starallüren und tritt auch manchmal in den Hintergrund.
Die Melodie von Cookies klingt vertraut, sie erinnert an 'Drah' di net um, der Kommissar geht um' (Falco 1981). Im CD-Text erfährt man, das Stück enthalte 'Elemente von Super Freak von Rick James'. So eine Information hat man sonst eher bei Lebensmitteln. Doch es stimmt, Falco kam erst kurz danach und wurde wegen der Ähnlichkeit kritisiert.
Die aktive Beteiligung des Publikums ist Kinga sehr wichtig. Es geht ihr dabei nicht um das übliche, manchmal stupide Mitklatschen, sondern um das Mitsingen. Sie spricht fließend Englisch und übt zu Mercy mit dem Publikum eine Passage ein: „Give me, give me some more bass here” und viele machen mit. Nach der 'Übung' dann die 'performance' und Kinga braucht selbst gar nicht mehr mitzusingen. Sie ist mal gerade 25, das Publikum aber deutlich älter, im Schnitt an die 60, doch das scheint ihr nichts auszumachen.
Bei Enu Maseti singt im Original Ruth Waldron, hier singt Kinga nun erst selbst, dann mit den Zuhörern die Melodie. Schließlich dirigiert sie sehr ruhig und bestimmt das Publikum, das mal laut, mal leise mitsingt, von ihr zusätzlich auf dem Bass begleitet.
Bei Ballada stellt Kinga die Melodie auf dem Bass vor, die ersten Noten klingen wie My Way von Sinatra. Das Keyboard von Arek Grygo steigt mit einem Bläsersound sehr breit ein, doch warum dann nicht gleich echte Bläser? Bei What Is Life hört man beim Intro erst einmal ein Gedicht, das als Sample eingespielt wird, wie auf der CD. Silence von ihrem Album Dreams beginnt mit einem langen Intro auf den Keyboards, klassisch klingt es manchmal, dann wieder volksliedhaft, lang anhaltender Beifall am Ende.
Zur Zugabe verlässt die Band gar nicht erst die Bühne, klar geht es weiter. Nun läuft die ganze Band mit vielen Soli noch einmal zur Hochform auf mit Anklängen an Barockmusik. Das ungewöhnliche Band-Selfie nach der Verbeugung am Ende zeigt: hier ist eine neue Generation am Zuge, in vieler Hinsicht!
Leverkusener Jazztage 2019, Kinga Głyk (b), Arek Grygo und Pawel Zarecki (keys) Greg Clark jr. (dr)
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Ein wundervolles Konzert, auch wegen der musikalischen Vielfalt. Mal klingt es wie Fusionjazz, dann fast wie Techno, doch dann wieder volksliedähnlich und verträumt. Kingas persönliche Ausstrahlung ist sehr wichtig, ihr Verhältnis zur Band, aber auch ihre Ansprache ans Publikum sind vorbildlich. Sie spricht damit auch junge Leute an und kann sie so dem Jazz näherbringen. Die Besetzung mit zwei Keyboards ist Geschmackssache, da würde eins genügen. Stattdessen ein anderes Melodieinstrument, z. B. ein Blasinstrument, würde einen noch besseren Sound ergeben und bei Komposition und Arrangement noch mehr Möglichkeiten eröffnen. Von Kinga werden wir in der Zukunft sich noch einiges hören.
Am 30. September um 20 Uhr steht das nächste Highlight im Herdecker Werner Richard Saal an: The Chet Baker Story - Eine Konzertlesung von und mit Marcus A. Woelfle; Andreas Untereiner: Trompete, Flügelhorn und Gesang; Alex Jung: Gitarre; Johannes Ochsenbauer: Kontrabass