Kinan Azmeh City Band in Essen
Meditation of East to West
TEXT: Peter E. Rytz | FOTO: Sven Thielmann
Hinreichend beworben und plakatiert im Stadtraum, finden zum Auftakt des Festivals Sounds of East to West mit der Kinan Azmeh City Band nur etwa 100 Interessierte den Weg in die Philharmonie Essen. Eine Situation, die in den letzten Wochen viele Kulturveranstalter mit Sorge erfüllt.
Trotz den der Pandemie geschuldeten deutlich reduzierten Masken- und Abstandsgeboten, haben viele offenbar weiterhin Vorbehalte, Kunst- und Kulturveranstaltungen wieder als einen sozial gesellschaftlichen Treffpunkt für sich anzunehmen.
An der vielfach gelobten Kinan Azmeh City Band liegt es sicher nicht. Neben einer überzeugenden musikalischen Performance verkörpern sie den Anspruch des Festivals, Orte von Heimat auch jenseits eigener kultureller Wurzeln zu entdecken. An bis dahin fremden Orten immer auch etwas vom Eigenem, den ursprünglichen Wurzeln und Quellen, ihren Sound zu spüren.
Von Musikkritikern vielfach mit Musik als Akt der Freiheit bezeichnet, lässt Azmeh mit seiner als My family bezeichneten New Yorker City Band den arabisch orientalischen Zauber von 1000 und einer Nacht mit seinem biografischen Hintergrund von Flucht und Vertreibung aus seiner syrischen Heimat vor mehr als drei Jahrzehnten zusammentreffen.
Die harmonische Schönheit wird nicht verleugnet
Vom ersten Ton an ist etwas von einer Leidenschaft zu spüren und zu hören, als würde sie den Sound des Ortes ein- und ausatmen, virtuos über den starren Grenzziehungen von Klassik, Jazz und Weltmusik schwebend. Azmeh, ein engagierter Demokrat als Musiker, der die Nabelschau einer Musik des Schönklangs weit hinter sich lässt. Auch oder gerade weil sie harmonische Schönheit nicht verleugnet, klingt sie umso authentischer. Ich habe nur dieses Stück Holz mit seinen Silberklappen. Damit kann ich niemanden satt machen und auch keine Gewehrkugeln aufhalten. Aber ich kann mit meiner Musik Menschen zum Nachdenken bewegen und sie für einen Moment glücklich machen
Seine Klarinette tönt geheimnisvoll und dunkel. In Dance from the Roof-top in the Distance-scene zeichnet er mit seinen Musikern, mit denen er sich 2005 mehr oder weniger zufällig in einem New-Yorker Café zusammen gefunden hat, die Landschaft seiner Großeltern nach. Gemeinsam mit dem kongenialen Gitarristen Kyle Sanna, dem in sich ruhenden, mit klar strukturierten Basslinien überzeugenden Josh Myers sowie mit John Hadfield, der mit perkussiv temperierter Sinnlichkeit ein Arsenal von Schlag- und Klanginstrumente einbringt, entsteht ein farbreicher Klangkosmos.
Stille Wehmut
Ob bestimmt von der Atmosphäre heute verschwundener Pflanzen, Bäume und Menschen in Azmehs einstigem Dorf nahe Damaskus oder vom Chaos der Stadt New York, ist in allem eine stille Wehmut und melancholische Traumverlorenheit spürbar. Selbst durch abseitige Orte wie dem High-Way vor einem Hotel wehen Sehnsuchtsmomente auf, die für Augenblicke zur Heimat werden können. Nie für immer, doch sie sind unterwegs überall zu entdecken. Als eine Frau frühzeitig das Konzert verlässt, klingt das verhallende Klack-Klack ihrer Schuhe wie ein Kommentar zur Musik der Kinan Azmeh City Band.
Die Pause vor dem anschließenden Konzert mit dem Anour Brahem Quartet gibt Zeit, um durchzuatmen, sich nach der auch emotional fordernden Azmeh-Soundreise zu regenerieren. Obwohl die Musik beider Quartetts Orient und Okzident sublimieren, reflektieren sie diese durchaus gegensätzlich. Azmehs musikalischer Ausdruckswechsel von Melancholie und Wehmut zu schrillen Aufschreien, die auf kulturelle Eigenständigkeit bestehen, kontrastiert sich in der teilweise somnambulen Traumverlorenheit von Brahems Klangkosmos.
Dass sich zu später Stunde deutlich mehr Zuhörer in der Philharmonie als zum Auftakt einfinden, ist Hoffnung und Ermutigung zugleich, wieder Konzertnormalität für alle zu gewinnen. Manchen mag Brahem möglicherweise mehr bedeuten als Azmeh. Wer beide Konzerte erlebt hat, wird einen Qualitätsunterschied kaum bestätigen können.
Das Staunen neu beschwören...
Brahem, der seit mehr als 20 Jahren in unterschiedlichen Besetzungen beweist, über welchen Klangreichtum die Oud, die arabische Kurzhalslaute verfügt, ist inzwischen schon selbst zu seiner eigene Legende geworden. Mit seinem Charisma gelingt es ihm überzeugend auf einmalig authentische Weise, arabische Musiktraditionen mit denen Europas und Afrikas zu verbinden.
Brahem mit Khaled Yassine (Darbouka, Bendir) gewissermaßen den arabischen Background bildend, zelebriert mit dem introvertiert sowie asketisch konzentrierten Bassklarinettisten Klaus Gesing und dem extrovertiert schwingenden Bassisten Björn Meyer eine Magie von Musik, die man ursprünglich mit Weltmusik bezeichnet hat. In der globalen Welt ist diese musikalische Integration selbst zu einer Welt geworden, die das Staunen über andere Kulturen scheinbar verloren hat. Da wirkt hier es fast so, als wollten sie das Staunen neu beschwören, wenn sie an diesem Abend fast nur Titel ihrer vielfach hochgelobten CD The Astounding Eyes of Rita spielen.
Brahems Klangwelt begleitet das Publikum noch in der frühlingshaft aufgewärmten Mitternachtsluft auf dem Heimweg wie eine Meditation über Zeit und Raum. Am Nachthimmel funkeln staunend die Sterne: The Astounding Eyes of Rita. Sie rahmen fürs Erste eine Meditation The Sounds of East to West, wie es die nächsten zwei Festivaltage versprechen.