Kein Aprilscherz
Allein mit Massaa
TEXT: Peter E. Rytz | FOTO: Peter E. Rytz
Kein Aprilscherz. 1.April - und es schneit nach zwei Wochen Sonnenschein als Vorboten eines verheißungsvollen Frühlings. Alles wieder auf Null im wahrsten Sinne des Wortes zurückgesetzt. Erst Regen, dann stundenlang leichter Schneefall, frostige Temperaturen.
Das Konzert mit Masaa im domicil in Dortmund kommt da gerade recht. Ein Retraite, ein Versprechen auf emotionale Erwärmung, eine Besinnung, sich dem Ethno-Sound von Rabih Lahoud und seinen Mannen hinzugeben.
Die Selbsttäuschung beim Betreten des domicil-Konzertsaals kann nicht größer sein. Wo sich selbst bei mittelmäßigem Interesse noch mehr als 100 Zuhörer einfinden, verkrümeln sich an diesem Abend weniger als 20 Personen. Pandemische und wetterwendische Zeiten: Nichts scheint mehr selbstverständlich zu sein.
Für die, die da sind, ein exzellentes Privatkonzert. Der Schlagzeuger Demian Kappenstein kommentiert in lakonischer Selbstverständlichkeit, dass es in diesem Moment allein darauf ankommt, wer da ist. Die Musiker hätten sich unmittelbar vor Konzertbeginn abgestimmt, ob sie nicht für die wenigen treuen Fans nach dem Konzert gewissermaßen als Belohnung in jeder einzelnen Wohnung noch eine Zugabe spielen sollten.
Mit ironischem Understatement bekennt er, dass das leider keine mehrheitliche Zustimmung gefunden habe. Allein das Votum des zweihälsigen Typs, Reentko Dirks mit seiner Double-Neck Guitar habe kein entsprechendes Voitum erzielen können. Schlussendlich spielen sie so leidenschaftlich, elegisch phrasierend, wie in den letzten zwei Jahren immer wieder zu hören gewesen.
Masaa, ein Sound, mit dem die Pandemie geplagte, dürstende Seele sich umstandslos aufladen kann.Anders als bei den bisherigen Konzerten blättert Lahoud in seinem Textbuch ausschließlich arabischsprachige Kompositionen auf. Dauert es nach dem ersten Song noch einen Moment, bis sich die kleine Zuhörerschar ihrer Exklusivität bewusst wird, der Beifall sich in der Raumleere zu verstecken scheint, lässt sie von da an ihren Emotionen freien Lauf.
Der Bandname Massa, arabisch Abend, zeichnet den für ihre Musik poetischen Klanghorizont. Zusammen, Sawianaan erkunden Lahoud mit dem Trompeter und Flügelhornisten Marcus Rust, sowie mit Dirks und Kappenstein traumverlorene Glücksgefühle zwischen laut und leise.Arabesken musikalischer Welten des Orients, versammelt mit weltmusikalischer Resonanz.
Lahouds brillant schimmernder, wohlakzentuiert tremolierender, meditierender Tenor erzählt mit einem weitverzweigten Obertonregister Geschichten seiner Kindheit. Reflektiert im Heute, versammeln sich seine Schlaf- und Gute-Nacht-Lieder tief zu empfundenen Ruhepunkten.
Seinesich mit schwebender Zartheit entfaltende, mitunter ins Falsett steigende Stimme trägt Rust wie auf samtenen Flügelhorn-Flügeln in eine schier unendliche, traumverlorene Höhe, die Dirks‘ enigmatischer Gitarrenklang verzaubert und Kappenstein sonor kommentiert. Das Schreien und Schluchzen der Erde in einer imaginären Stadt (Farascha) widerhallt in Massas Spiel melancholisch nachdenklich. Die Klangvielfarbigkeit kommt aus einem Universum, das jeder einzelne Musiker sich individuell erschlossen zu haben scheint und sich im Masaa-Sound mit souveräner Selbstverständlichkeit widerspiegelt und vereinigt.
Schönheit, Hala, weckt Erinnerungen an Goethes Gedichtzyklus West-östlicher Divan und die Märchen aus 1.001 Nacht. Keine romantizistisch aufgeladenen Sentimentalitäten. Kleine, feinsinnige Geschichten von den oft übersehenen Schönheiten am Wegesrand.
Mit dem Titelsong der 2019 erschienenen CD Irade zelebrieren Dirks und Lahoud einen mythischen Klangzauber, wie sie zusammen mit Rust und Kappenstein zwischen Ekstase und Melancholie kraftvoll und dynamisch klangmalen. Es ist, als wollten sie mit weit geöffneten Armen die ganze Welt umfangen. An der Wärme dieser musikalischen Umarmung prallt die nasskühle Ungemütlichkeit auf dem Nachhauseweg geradewegs ab. Wenigstens für einige Momente.
Peter E. Rytz