Junge Helden und berühmte Altmeister
Funchal Jazz Festival 2017
TEXT: Christoph Giese | FOTO: Renato Nunes
Man bräuchte schon einen Taschenrechner um die ganzen Lebensjahre der Mitglieder des „Saxophone Summit“ zu addieren. Spielen in dieser All-Star-Band mit Joe Lovano, Dave Liebman und Greg Osby doch gleich drei Größen des Saxofons mit. Nicht zu vergessen die hochkarätige und ebenfalls reich an Jahren gesegnete Rhythmusgruppe mit Pianist Phil Markowitz, Bassist Cecil McBee und Drummer Billy Hart. Und dennoch packte dieses Sextett nur bedingt bei seinem Auftritt am Eröffnungsabend des diesjährigen Funchal Jazz Festivals. Zu viel Klangsuche und Stückwerk, trotz feiner kollektiver Momente. Wie erfrischend war da zuvor das Festival-Eröffnungskonzert von „João Barradas Directions“. Auch ein Sextett, das der derzeit überall gefeierte Jungstar des portugiesischen Jazz, der Akkordeonist João Barradas, mit auf die Blumeninsel im Atlantik gebracht hatte. Greg Osby als Gast streute ein paar spitze, scharfe Momente auf dem Altsax ein, blieb ansonsten aber doch eher ein Fremdkörper. Der Kopf der ansonsten ausschließlich portugiesischen Band ist ohnehin der Bandleader höchstpersönlich. Ein Virtuose ist dieser João Barradas auf dem Knopfakkordeon, ein rhythmisch hoch spannender Improvisator, ein Musiker, der in seinen Jazz wie selbstverständlich Tango und Mediterranes verknüpft. Frisch und aufregend klang das im wunderschönen Ambiente vom Santa Catarina-Park im Herzen der Insel-Hauptstadt.
Ein weiteres Sextett präsentierte Festivaldirektor Paulo Barbosa dem an jedem der drei Abende zahlreich in den Park strömenden Publikum. Mit seiner neuen „Caipi“- Band hat sich Kurt Rosenwinkel einen lange vorhandenen Wunsch selbst erfüllt, nämlich die brasilianische Klangwelt in seine Musik einzubauen. Mit drei Brasilianern, US-Schlagzeuger Bill Campbell und der Pianistin und Sängerin Olivia Trummer spielte der in Berlin lebende US-Gitarrist eine gefällige, gut zu hörende Sommermusik, die höchstens in Ansätzen nach Brasilien klang. Dazu passte dass Rosenwinkels Gitarrenspiel eher an Pat Metheny als an den Zuckerhut erinnerte. Ganz dem puren Jazz hatte sich dagegen US-Drummer Rudy Royston auf die Fahne geschrieben - und mit seinem „Orion Trio“ auch konsequent umgesetzt. Mit Saxofonist Jon Irabagon und Bassist Yasushi Nakamura gestaltete Royston aufregende Dialoge voller improvisatorischer Freiräume und komplex-packenden Linien, garniert vom Bandleader mit hoch virtuosem Powerdrumming.
Wie gut passte da zum Festivalabschluss die Spiritualität und Gelassenheit eines großen alten Meisters! 79 Jahre alt ist Charles Lloyd inzwischen und sein Saxofonspiel verströmt noch immer diese große Magie. Sein Quartett hatte der Amerikaner (spontan?) um Bill Frisell erweitert, der ja in Lloyds neuer Marvels-Band mitspielt und direkt vor dem Auftritt des Saxofonisten mit seinem eigenen Trio einen ruhigen, unaufgeregten Streifzug durch Jazz, Blues und Americana auf der großen Festivalbühne unternommen hatte. Aber es ist Charles Lloyd, der das Herz mit seiner Musik so richtig berührt. Riesenapplaus am Ende. Und man verlässt den Park mit dem Gefühl, einmal mehr Gast eines wirklich besuchenswerten Festivals gewesen zu sein.