Alchemie im Untergrund
Joke Lanz, Almut Kühne und Gäste im Bunker Ulmenwall
TEXT: Stefan Pieper | FOTO: Stefan Pieper
Im Bunker Ulmenwall, tief unter Bielefelds Erdoberfläche, fand wieder statt, was den internationalen Ruf dieser Spielstätte begründet hat: Jazz und aktueller Musik ohne Kompromisse einen Raum zu geben -fernab der üblichen Risikovermeidungen des konventionellen Kultur- und Unterhaltungsbetriebs. Im Rahmen der "Soundtrips NRW" sorgten die Berliner Stimmvirtuosin Almut Kühne, der Berliner Turntable-Künstler Joke Lanz sowie Sebastian Büscher (Sax) und Achim Zepezauer (Liveelektronik) für einen besonderen Abend.
Die Faszination für die Haptik von Schallplatten und deren Abspielgeräte wurde ursprünglich von Hip-Hop-DJs als eigene Kunstform emanzipiert. Die Entwicklung des berührungslosen Direktantriebs der legendären Technics-Plattenspieler ermöglichte "Scratching". Daraus ging auch eine eigenständige improvisierte Kunstform hervor– "Turntablism", gepflegt von einer internationalen Szene von abenteuerlustigen Klangkünstlern. Der Schweizer Joke Lanz ist einer von ihnen.
Die Emanzipation der Stimme als eigenständiges Instrument ist heute noch viel verbreiterter - gehört doch heute das freie, abstrakte Gestalten zum Standardrepertoire fast jeder Jazzsängerin. Almut Kühne hebt diese Kunst jedoch mit deutlich ausdifferenzierterer Charakteristik auf einen wesentlich verfeinerten Level und das ist Teil ihres ganz persönlichen Gesamtkunstwerkes, zu dem auch Zeichnen und Literatur gehören, ebenso ist das eine große Affinität zur Dada-Bewegung – jener Kunstform, die schon vor etwa hundert Jahren ästhetisch keinen Stein auf dem anderen lassen wollte.
Also geht es im Bunker Ulmenwall mit Einfühlung und Präzision zur Sache: Mit viel handwerklichem Einsatz verwandelt der Schweizer Joke Lanz Vinylrillen in schillernde Klangexplosionen. Umringt von sorgfältig gesammelten, hüllenlos aufgestapelten Schallplatten – seiner persönlichen Schatzkammer – lässt er rückwärts gespielte Glissandi wie Comicfiguren durch den Raum rasen, funktioniert Mischpultregler zu Percussion-Instrumenten um und wirbelt manchmal auch eine Platte einfach nur in der Luft herum, auf dass es fröhlich zischelt.
Ihm gegenüber entfaltet Almut Kühne ihr außergewöhnliches Stimm-Arsenal, manchmal so, als wäre ihre Kehle ein außerirdisches Instrument: Das klingt dann auch mal wie eine überdrehte Schallplatte, oder es hüpft ihre Stimme wie ein Gummiball zwischen Tönen, die im konventionellen Gesang niemals vorkommen würden. Ihre Tremoli erreichen schwindelerregende Höhen der großen Oper, hier aber nur in Mikroorganismen, vielleicht nur einen Sekundenbruchteil lang, zwischen kindlicher Zartheit, zartem Flüstern und höchsten Tonlagen wechselnd. Dass sie das alles kann, ist letztlich ihrer klassischen Ausbildung geschuldet und auch ihrer Praxis als leidenschaftliche Sängerin mit starker Vorliebe zu Bach und Alter Musik.
Was auch beeindruckte: Das übliche, oft eine ganze Weile dauernde Hineintasten und Suchen wie bei anderen Impro-Konzerten entfiel- beide waren sofort völlig in ihrer Sache drin, denn die Symbiose funktioniert auf höchstem Level zwischen den beiden. Wenn man nun denkt, dass hier nun gar nichts mehr dazwischen passt, kamen im Bunker Ulmenwall die Interventionen von Sebastian Büscher auf Saxofon und Achim Zepezauer mit seiner Live-Elektronik ins Spiel. Büschers Instrument zischelte und bebte wie ein Eigenwesen – anfangs zurückhaltend, bald mutiger mit Klangsplittern und impulsiven Solo-Eruptionen. Auf jeden Fall ist hier der besondere Moment im Spiel, etwas "hineinzugeben". Derweil Zepezauer elektronische Klangnetze webte, in denen sich die anderen verfingen und wieder daraus befreiten.
Im zweiten Set erweiterte sich die Interaktion aufs Publikum durch eine "dadaistische" Einlage. Auf Kühnes Anregung skandierten die Zuschauer Wortfetzen und wurden selbst zu Instrumenten im kreativen Biotop. Trotz anfänglicher Hemmungen bekommt der Prozess dadurch eine erfrischende Durchlässigkeit zwischen Bühne und Zuhörern. Also noch mehr spritzige Leichtigkeit und keine Spur von verkopftem Konzeptgestöber – hier lebte ein funkelndes Spiel aus Poesie, Humor und Virtuosität.
Ein kultureller Leuchtturm in Gefahr
Die "Soundtrips NRW" verbinden Spielstätten im ganzen Bundesland, indem sie ausgewählte Künstler auf Tournee schicken, die an jedem Ort mit anderen Gastmusikern spielen. Nach Bochum, Gelsenkirchen, Bonn, Wuppertal, Duisburg und Bielefeld folgen noch Dortmund, Münster, Köln und Düsseldorf – ein kreatives Laboratorium in Bewegung. Der Bunker Ulmenwall qualifizierte sich an diesem Abend mal wieder als idealer Ort für künstlerische Freiheiten. Die besondere räumliche Situation, in der die Musiker vis-à-vis in direkter Kommunikation agieren, hat hier schon zahllose Begegnungen legendär werden lassen.
Die Zukunft ist auch hier ungewiss. Die finanzielle Lage ist problematisch – Einnahmeverluste entstanden nicht zuletzt durch das Ausbleiben der Spielstättenprogrammprämie "Applaus". Ob das vielleicht auch daran liegt, dass mutige Konzertereignisse wie dieser Abend seit letztem Jahr doch sehr selten geworden sind? Eine vielversprechend angelaufene Crowdfunding-Kampagne sorgt im Moment für Entspannung, um bestehende Defizite aus der Welt zu schaffen. Geplant ist ein neues Konzept, bei dem wieder stärker auf lokale Jugendarbeit gesetzt wird.
Wenn das Land NRW mit den Soundtrips dem Bunker Ulmenwall einen hochkarätigen Auftritt wie den von Joke Lanz und Almut Kühne „geschenkt" hat, dann wirkt dies idealerweise wie ein Fingerzeig für die Stadt und den Verein, auch künftig dem Jazz und der freien Musikkultur an diesem außergewöhnlichen Ort einen engagierten Entfaltungsraum zu geben.
Hier geht es zur Crowdfunding-Kampagne für den Konzertbetrieb im Bunker Ulmenwall