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"Jetzt seid ihr da und wärmt uns!"

Bohren und der Club of Gore in der Christuskirche

Bochum, 21.02.2023
TEXT: Stefan Pieper | FOTO: Stefan Pieper

Nach diesem Abend blieb eigentlich nur noch eins: Mal wieder Blue Velvet oder Twin Peaks aus dem DVD Regal zu ziehen – aber man sollte sich beeilen dabei, denn bald ist die Jahreszeit schon wieder zu hell für so etwas...

Bohren und der Club of Gore gaben sich in der Bochumer Christuskirche die Ehre – und alle kamen. Ja, es hat erst einmal etwas ungemein Belebendes, wie an diesem nebelverhangenen Montagabend Scharen von Publikum, ausgemachtem Szenepublikum auch in sehr jungem Alter in die Christuskirche, diesen engagierten Kulturort, hinein strömen.

Das wiederum schließt etwas anderes nicht aus: Schon bei den ersten gespielten Tönen von „Bohren und der Club of Gore“ füllt sich der spirituelle Raum mit Andacht, die alles miteinander vereint. Sogar das regelmäßige Klirren umfallender Bierflaschen, als Lebensäußerung des Unangepassten aus dem Hier und Jetzt....

Ein Mysterium mit starker Anziehungskraft

„Bohren und der Club of Gore“ wurden schon mit allerhand Attributen beschrieben – eines davon lautet immerhin „Horror-Jazz“ - die aber alle irgendwie in ein schwarzes Loch hinein laufen, wo ein Mysterium mit magischer Anziehungskraft übrig bleibt: Langsam ist die Musik, manchmal sogar noch langsamer. Oder sogar extrem langsam. Das gibt Raum. Und zwar für den Raum. In welchem vielen Hundert versunken Lauschender zu Teilnehmenden werden. Ein noch weiterer Raum eröffnet sich im Inneren der eigenen Fantasie. Bei sich und beeinander sein, wird zum besonderen Zustand, wenn diese Band spielt.

Sie spielen in Bochum viele Stücke aus ihrem letzten Album „Patchouli Blue“, mit dem die Band im Jahr 2020 nach fünfjähriger Abstinenz ein überzeugendes Comeback hinlegte. Schwere Klangflächen - in einem Metrum, das so langsam wie Glockenschläge um Mitternacht dahin wandelt. Jeder Harmoniewechsel, ein Ereignis für sich, weil eben in so weiträumiger Taktung gesetzt. Keine heile Welt und bloß nix in Dur – das ist Balsam für die Seelen der vielen meist dunkel gekleideten „Karnevalsflüchtlinge“ an diesem Rosenmontag. Alles entfaltet durch die radikale Minimierung von Licht und Tempo umso mehr expressive Wucht: Mal ein tieftrauriges Arpeggio über die Gitarrenseiten oder ein Ennio-Morricone-Riff - oder ein einsam klingender, aber bald auch wieder vergehender Hammondorgel-Sound. Über allem schwebt, lagt und betört das bittersüße Saxofon, traurig, tröstend, weiträumig atmend und oft alles zugleich. Sanft plüschige Romantik und tragische Schönheit, die zum Darinversinken verführt. Und noch einmal das ganze Leben vorm inneren Auge Revue passieren lassen. Dabei sogar hinterher wieder lebend rauskommen, was ein Luxus...

Verflüchtigung in der Schwärze

Dass es auch optisch mehr stockdunkel als halbdunkel ist, braucht kaum erwähnt werden. Die Musiker auf der Bühne erscheinen wie schemenhafte Geister, um sich schnell wieder in der Schwärze zu verflüchtigen. Hinter so viel bewusster Anti-Inszenierung steht eine durchdachte instrumentale Rollenverteilung. Bassist Robin Rodenberg, der einen Zwitter aus E-Bass und upright-Bass bevorzugt, bestimmt die Richtung zwischen wabernden Drones und traurigen Klagegesängen. Morton Gass vereint den Synthesizer, der auch als solcher konsequent gespielt wird mit Orgel, Fender Rhodes und Vibrafon und spielt auch manchmal ein (extrem minimalistisches!) Schlagzeug dazu.

Der Auftritt ist ein Livekonzert und das ist den Musikern sehr wichtig, also werden die Stücke moderiert. Das Spieltempo der Band hat anscheinend auf den Sprachfluss abgefärbt. Was wiederum so verpeilt wirkt, dass es schon wieder – das ist Kalkül – prallen absurden Humor freisetzt. Also kontrastieren die spontanen Lachsalven im Publikum zuverlässig die zahllosen Schattierungen von Schwarz und Düster auf der Bühne.

Ein starkes Stück Ruhrgebiet

Irgendwo war zu lesen, dass Bohren „eine Kölner Band“ sind. Solche Versehen passieren und sind entschuldbar. Trotzdem muss hier vor „kultureller Aneignung“ gewarnt werden: „Bohren und der Club of Gore“ und der ganze etwas abgründige Kultcharakter und ihre großen Fangemeinde verströmen an diesem Abend in Bochum eine geerdete Ruhrgebietskultur, wie sie authentischer kaum geht. Diese Region mit ihren seltsamen Locations, ihrer Endlosigkeit, die auch was mit Freiheitsdrang und Nicht-Normalsein zu tun hat, das ist doch das ideale Projektionsfeld für „imaginäre David-Lynch“ Filme direkt vor der Haustür. Auf passende Soundtracks ist dank „Bohren und der Club of Gore“ seit 1992 und bislang auf 15 Alben Verlass. Christoph Clöser brachte es am Ende des Konzertes auf die ruhrpöttlerisch-ehrliche Formel: „Wir haben uns beim Soundcheck vorhin den Arsch abgefroren. Jetzt seid ihr da und wärmt uns.“

Vorschau

Jetzt schon mal den Freitag, 10. März vormerken: Brandt Brauer Frick sind musikalisch wohl so ziemlich das Gegenteil der Mülheimer Horror-Jazzer, aber der Kultfaktor rangiert auf vergleichbarem Level: Wie auf dem Reißbrett konzipiert, vereinen die „Tracks“ des Trios Brandt Brauer Frick Stilistiken von Jazz, Klassik und Techno und auch die selbstironsiche Inszenierung kommt nicht zu kurz. Rave-Atmosphäre im Kirchenraum - auch das hat was spirituelles.

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