Beeindruckende „Neil Young Collage“
Jens Thomas und Jürgen Spiegel im Schauspielhaus Bochum
TEXT: Heinrich Brinkmöller-Becker | FOTO: Heinrich Brinkmöller-Becker
Ein Konzert der Sonderklasse im Schauspielhaus Bochum: Der Jazzpianist Jens Thomas präsentiert mit dem Drummer Jürgen Spiegel, nicht zuletzt bekannt durch das Tingvall Trio, seine „The Neil Young Collage“ – und hinterlässt einen nachhaltigen Eindruck auch von einem ganz besonderen Konzertformat.
Jens Thomas‘ „Bochumer Zeit“
Wer erinnert sich noch an die außerordentliche Konzertreihe „Piano Voices“, die Jens Thomas als „artist in residence“ am Bochumer Schauspielhaus zwei Jahre lang (2005 – 2007) als hochspannendes musikalisches Experimentierfeld nutzen konnte? Ja, das ist schon länger her, aber die Auftritte im Duo mit Christof Lauer, mit vielen, ganz unkonventionellen Besetzungen sind den Musikfreunden im Ruhrgebiet, ja in NRW noch in bester Erinnerung. Verwundert war man damals, wie der vielfach ausgezeichnete Jazzpianist durch seine Arbeit mit Bühnenmusik an den Münchner Kammerspielen und dem Schauspielhaus Bochum mehr und mehr seine Stimme einsetzte und sich zunehmend zum Stimmperformer mit Pianobegleitung entwickelte. Als Beispiel sei die Beschäftigung mit Goethe-Texten („Goethe! Gesang der Geister“) genannt. Seine Programme mit Matthias Brandt sind bis heute absolute Publikumsfavoriten. Dass Jens Thomas sich gerne mit Coverversionen beschäftigt, zeigen seine Alben mit Songs von Ennio Morricone, Sting oder AC/DC – und das neue, das Neil Young gewidmet ist: „The Neil Young Collage“.
Starke Dynamik und differenzierte Schichtungen
Der Konzertabend mit gleichem Titel entpuppt sich als kleine Sensation. Ist die CD eine Solo-Aufnahme im Overdub mit Perkussion, Geräuschen, zusätzlichen Stimmen, gelingt dem Duo eine in mehrfacher Hinsicht gänzlich andere Interpretation des Ausgangsmaterials. Fast zwei Stunden entwickeln die beiden Musiker einen intensiven Dialog, der an energetischer Dichte kaum zu übertreffen ist. Bereits der Opener „Hey Hey, My My“ reißt das Publikum mit, der anschließende Zwischenruf aus den Zuhörer-Reihen „Weiter so!“ mag das belegen – dem Musiker widerspricht dieser Appell, wie er am Konzertende sagt, eher seinem Selbstverständnis als frei improvisierender Künstler.
Das Konzert verläuft demnach in der Tat gänzlich frei von Absprachen oder einer festgelegten Playlist. Jens Thomas und Jürgen Spiegel zaubern aus dem Material der CD ein eigenes musikalisches Universum, das weniger aus Coverversionen von Neil-Young-Klassikern wie „Like A Hurricane“ oder „Heart Of Gold“ besteht, sondern vielmehr eine eigene Musik entwickelt mit ganz unterschiedlichen Farben. Fangen die Stücke meist ganz ruhig, mit nur wenigen leisen Tönen und Besenschlägen an, dynamisiert sich das Spiel bis zum ekstatischen Extrem mit Stakkatogewittern und rhythmischen Eruptionen. Faszinierend ist, wie die beiden Musiker in diesem Sinne kommunizieren, der Drummer greift jede noch so feine Wendung des Pianos und der Stimme subtil auf und verstärkt den Prozess, Perkussion und Drums wiederum animieren Jens Thomas zu pianistischen und stimmlichen Kapriolen.
Der Dialog erreicht eine deutlich stärkere Dynamik und differenziertere Schichtungen als die Solo-CD, ein Live-Konzert basiert eben auf der stimulierenden Kommunikation der beteiligten Musiker untereinander und mit dem Publikum. Einen besonderen Drive bekommt dieses kommunikative Dreieck dadurch, dass die meisten Musiktitel – bis auf die Eigenkomposition „Sleeping in the Eye of the Storm“ – dem Publikum vertraut sein dürften und damit den Musikern die Möglichkeit geben, mit dem Bekannten zu spielen, dieses in eigenem Sinne zu collagieren und zu transformieren. Und darin ist Jens Thomas – von Jürgen Spiegel kongenial unterstützt - ein wahrer Meister: Erwartbar ist dies vielleicht, was die Einfälle und Fähigkeiten des Jazzpianisten angeht, hier demonstriert Thomas alle pianistischen Raffinessen von Anschlägen im Pianissimo bis zum Stakkatohämmern, von stur im Bass gespielten ostinaten Mustern der linken und hochvirtuosen Figuren in der rechten Hand. Es ist eine wahre Freude, seinen filigranen bis rockigen Improvisationen zu lauschen.
Stimmperformance der besonderen Art
Überraschender sind vielleicht die stimmlichen Register, die zu ziehen der Performer in der Lage ist: Seine Stimme ist weit varianten- und modulationsreicher, als die CD erwarten lässt. Ihr Einsatz reicht vom Gesang bis zum nur von Perkussion begleiteten Deklamieren, von schwach gehauchten Silben bis hin zum Falsett und zum Screaming bei fetzigem Rock, von balladesken Gesangspartien, die in Sprechgesang übergehen, vom Timbre im unteren Stimmbereich bis hin zum Obertongesang. Kurzum: Jens Thomas setzt seine Stimme als dem Piano gleichberechtigtes Instrument der besonderen Interpretation des Ausgangsmaterials ein. Und hier sitzen jeder Akzent, jede Klangfarbe, jede Nuancierung. Jazzgesang im üblichen Sinne ist dies nicht, sondern eine Stimmperformance der ganz besonderen Art, die dem poetischen und kraftvoll-rockigen Charakter der Neil-Young-Songs entspricht und deren Lyrik kunstvoll herauspräparieren lässt. Dies gilt auch für das Stück „Dämmrung“ aus Thomas‘ Goethe-Projekt, das zur Stimmung des Abends passt und an die wundervolle „Bochumer Zeit“ des Pianisten erinnert. Kein Wunder, das begeisterte Publikum animiert das Duo zweimal zu Zugaben. Fast ist man geneigt, dem Duo ein „Weiter so!“ zuzurufen, pardon, man wünscht sich einfach nur weitere beglückende Performances dieser Art.