JazzNorway In a Nutshell
Nattjazz 2012
TEXT: Christoph Giese | FOTO: Nattjazz (Kjersti Paulsen, Aleksander Silchenstedt & David Kjetland)
Mut haben sie in Bergen. Der größte Spielort beim diesjährigen Nattjazz“-Festival war – open air! Und das in Europas Regenstadt Nummer eins! Aber die Rechnung ging auf, zumindest in den ersten Festivaltagen.
Norwegens zweitgrößte Stadt präsentierte sich sommerlich warm und trocken. Und die Wettervorhersagen bis zum Ende des elftägigen Jazzevents waren ziemlich gut. Normalerweise ist das Wetter dem Festival egal, findet es doch in einer wunderbar an einem Fjord gelegenen, ehemaligen Sardinenfabrik ein wenig außerhalb des Stadtzentrums statt. Doch diese Sardinenfabrik wird gerade für satte zehn Millionen Euro renoviert. So musste sich „Nattjazz“was einfallen lassen für das 40-Jährige Festivaljubiläum in diesem Jahr - und zog ins Herz der Stadt, in den ältesten Stadtteil mit vielen kleinen Gassen und Lädchen. Diese Sträßchen würden viele Bergener nicht einmal kennen, meint Jon Skjerdal, der Leiter von „Nattjazz“, der schon jetzt, nach nur wenigen Festivaltagen, ein kleines Problem in seinem Kopf sieht. Diese vollen Straßen, diese mediterrane Stimmung der flanierenden und vor den Cafés und Restaurants sitzenden Menschen, dazu Musik aus jeder Ecke, das sei doch nicht Norwegen, nicht Bergen. Aber es gefällt ihm. Und vielleicht könne man im nächsten Jahr, wenn die Sardinenfabrik fertig renoviert sein wird, ja irgendwie beides miteinander kombinieren.
Laut gedachte Zukunftsgedanken. In der Gegenwart ist ein Hinterhof-Parkplatz zum Open Air-Venue umfunktioniert, wird eine wunderschöne Kirche ein Ort für Musik zum unabgelenkten Zuhören, ein warmer kleiner Saal zum Platz für frische Klänge. Und so etwas wie echte Jazzclub-Atmosphäre kommt auf in dem gemütlichen, aber dennoch geräumigen Saal einer ehemaligen Bank. Dort zeigte das Fabrizio Bosso Quartet, wie man einen alten italienischen Schwarzweiß-Streifen von Dino Risi mit nervösem Postbop unterlegt. Auf einer großen Leinwand flimmerte der muntere Film und die vier Italiener rund um den Trompeter Fabrizio Bosso sorgten für die richtige Dynamik, aber auch den passenden Schuss Melancholie am Schluss des Films. Und wie sie zwischendurch alte italienische Gassenhauer in ihren boppigen Jazz überführten, das hatte was. Auch das Francesco Bearzatti Tinissima 4tet kommt aus Italien, auch wenn der Bandleader in Paris lebt. Bearzattis schlicht „X“ betitelte „Suite for Malcolm“ entpuppte sich als augenzwinkernder Hörfilm mit fließenden Vermischungen von Musikstilen.
In der Korskirken, der Kreuzkirche, verblüffte Steinar Raknes mit seinem Solokonzert. Nur auf Kontrabass und mit seiner Stimme tauchte der Norweger ein in Improvisation und Americana-Musik. An gleicher Stelle betörte auch erstmals ein Trio des Trompeter Per Jørgensen mit Schlagwerker Terje Isungset und Tastenmann Sigbjørn Apeland und ihrer gemeinsamen und mitunter sehr inspirierten Klangsuche fernab üblicher Wege. Auch das blutjunge Trio Moskus mit der Pianistin Anja Lauvdal sucht nach einem spezifischen Gruppenklang, öffnete ihre starken Melodien für freie Räume, konnte diese dann aber nicht immer ganz spannend füllen.
Wie bei „Nattjazz“üblich, zeigte das Festival eine große Bandbreite des aktuellen Jazz mit einem hohen Prozentsatz an norwegischen Künstlern. Auch deshalb sind in Kooperation mit einigen Partnern wieder einmal Journalisten und Veranstalter zu „Jazznorway In a Nutshell“im Rahmen von „Nattjazz“ eingeladen worden, um den norwegischen Jazz vorzustellen. Diese Gäste kamen dann in den exklusiven Genuss zweier Konzerte: im Edvard Grieg-Museum verwöhnte ein kurzes Solokonzert des Pianisten Eyolf Dale, einem Mann, der wunderbar melodiöse, von kleinen Nebenströmen durchsetzte Geschichten zu erzählen weiß. Und in einer ehemaligen deutschen Militäranlage des Zweiten Weltkriegs mit großartiger Aussichtsplattform zeigte das Trio Lord Kelvin zwanzig Busminuten außerhalb der Stadt, wie man auf Saxofon, Posaune und Schlagzeug lebendig treibende, energiegeladene Musik spielt.
Pure Unterhaltung und Entertainment müssen auch sein beim „Nattjazz“. Etwa mit Polkabjørn og Kleine Heine und ihrem Jodelgesang. Topmusiker wie Saxofonist Marius Neset oder Posaunist Daniel Herskedal hatte Frontmann und Jodler Bjørn Tomren um sich versammelt und sogar einen waschechten Opernsänger mit dabei. Wenn der nicht wie zumeist gelangweilt an einem Tisch saß, Bier trank und dabei Möhren knabberte. Ein skurriler Musikspaß, aber mit Klasse! Spaß macht eigentlich ja auch die von gesampelten, tanzanimierenden Beats durchsetzte Musik von Bugge Wesseltoft. Der brachte unter dem Motto „Bugge ´n´ Friends“ musikalische Freunde wie Trompeter Erik Truffaz und Saxofonist Ilhan Ersahin mit nach Bergen. Doch das Konzert wies trotz einiger packender und treibender Momente zu viele Passagen auf, in denen leider nicht so viel passierte. Was man aber sonst über das diesjährige „Nattjazz“ ganz und gar nicht sagen konnte.