JazzNorway In a Nutshell
Nattjazz 2011
TEXT: Christoph Giese | FOTO: Christoph Giese
Nach diesem Besuch ist klar: das Wetter in Bergen kann wirklich schlecht sein. Vor drei Jahren, beim ersten Trip an Norwegens Westküste, strahlte der Himmel für satte acht Tage ohne Unterbrechung in tiefem Blau und alle in Bergen sagten immer wieder: Das ist nicht normal! Normal sind tief hängende Wolken und zumindest Nieselregen. Aber auch die häufigen Tropfen von oben konnten eine einmal mehr wunderbare Veranstaltung und ein einmal mehr fantastisches Festival nicht wirklich stören Das diesjährige „JazzNorway In a Nutshell“, fein integriert in das elftägige „Nattjazz“-Festival, war wieder eine runde Sache. Schon deshalb, weil das Vestnorsk Jazzsenter, das westnorwegische Jazzcenter, und „Nattjazz“, in Kooperation mit vielen mehr, den eingeladenen internationalen Journalisten und Veranstaltern von nah und fern ein spannendes Programm zusammengestellt hatte. Im gut anderthalb Zugstunden von Bergen entfernten Voss die Möglichkeit zu haben, mit einem Gleitschirm von einem Berg herabzufliegen, anschließend im Garten von Mitorganisator Lars Mossefinn mit prächtiger Aussicht auf Voss ein ganz besonderes Lunch serviert zu bekommen, zählt da zu den angenehmen Begleitumständen. Denn auch wenn es bislang nicht so klingt: Es ging um die Musik, und in erster Linie um norwegische Musik.
Da hatten Trygve Seim und Tastenmann Andreas Utnem Saxofone und ein Harmonium nach Fjell in eine ehemalige deutsche Militäranlage des Zweiten Weltkriegs mit großartiger Aussichtsplattform gebracht. Und musizierten dann höchst ergreifend meditativ und intim miteinander, improvisierten, ließen dabei Volkslieder und Kirchenmusik einfließen und verzauberten mit intensiven Melodien. Aber auch bei den Konzerten im „Nattjazz“-Festivalspielort USF Verftet (United Sardine Factory), einer ehemaligen Sardinenfabrik, gab es viel Memorables zu hören. Etwa das Trio des Bassisten Mats Eilertsen mit Drummer Thomas Strønen und dem holländischen Pianisten Harmen Fraanje, das allerdings im Konzertverlauf ein wenig die Klangsuche übertrieb. Auch beim Quartett The Source bedient Mats Eilertsen den Bass und Trygve Seim spielt Saxofon. Dazu kommen Posaune und Schlagzeug und heraus kommt eine Musik, die verhalten Stimmungen kreiert wie sie an anderer Stelle durch die vitalen Konversationen der Bläser brilliert.
Überhaupt waren beim diesjährigen „Nattjazz“ etliche norwegische Formationen ohne Akkordinstrument angereist. Wie das Team Hegdal, das Quartett des Saxofonisten Eirik Hegdal. Mit dem zweiten Saxofonisten André Roligheten, Bass und Schlagzeug ging es oft schnurstracks und drängend nach vorne, mit gewitzten Zweigesprächen der beiden Saxofonisten – das Ganze immer mit starkem Fokus auf der Melodie. Auch das Quintett Sasquatch mit 2x Saxofon (wieder dabei: André Roligheten), Trompete, Bass und Schlagzeug schlug in eine ähnliche Kerbe, wenn auch weniger melodieverliebt. Der Schwede Magnus Broo ließ ein Akkordinstrument ebenfalls daheim und rückte mit Schlagzeuger und gleich zwei Bassisten an, um sich befeuern zu lassen für seine geschmackvollen, von jeglichen Zwängen losgelösten Ausflüge auf der Trompete. Ganz neue Töne hatte Arve Henriksen zu bieten mit der Premiere seines neuen Trios, das er zusammen mit den beiden Schlagwerkern Audun Kleive und Helge Norbakken ins Leben gerufen hat. Henriksen ist hier mehr als nur der sonst so ätherische Trompeter. Er agiert mit seinen Instrumenten perkussiv in diesem auf bisweilen wilden Improvisationen basierenden Trio. Das konnte bei seinem allerersten Gig aber nur stellenweise voll überzeugen. Es muss sich noch finden, was in Ansätzen durchaus schon zu erkennen ist.
Elf Tage Festival, da bleiben viele Momente hängen. Etwa vom Kooperationskonzert mit den zur gleichen Zeit stattfindenden Festspielen in Bergen. Da spielten die Jazz-Rocktroniker Jaga Jazzist in den vollbesetzten Grieghallen und das zum ersten Mal seit den 1990er Jahren wieder mit Gästen auf der Bühne. Drei Mitglieder von selbsternannten musikalischen Vorbildern, der US-Band Tortoise, die tags darauf einen nicht immer überzeugenden Gig in der Sardinenfabrik spielten, die beiden Brüder David und Peter Brewis der britischen Indie-Rocker Field Music und der US-Pianist Austin Peralta bereicherten erfreulich die rockig-treibende Mischung der norwegischen Kultformation. Der schwedische Trompeter Goran Kajfes, der nach vielen Jahren Pausen jetzt mit „X/Y“ (Headspin/edel Kultur; siehe Interview mit Goran Kajfes) wieder ein Album veröffentlicht, gleich ein Doppelalbum, und das ausschließlich in Buchformat, stellte das neue Werk mit seiner sechsköpfigen Band vor und bestach durch packende Melodien, mitreißende Sounds und Beats. Joshua Redman mit James Farm waren ein Erlebnis, Jerry Bergonzi mit seinem Norwegian Quartet einfach nur zeitlos schön, Bushman´s Revenge rockten mit tollen Melodien laut und hart, die Digital Primitives aus den USA überraschten mit ihrem freien Jazz-Funk-Blues und der Norweger Jarle Bernthoft war die Festival-Attraktion und sein Konzert deshalb so überfüllt, dass es keine Chance mehr gab, in den Saal zu kommen.
Aber es gab so viel gute Musik beim „Nachtjazz“, da ließ sich das verschmerzen. Zumal in den letzten beiden Tagen auch noch die Sonne schien und Bergen endlich sein schönes Gesicht zeigte. Im kommenden Jahr wird „Nattjazz“ bereits 40 Jahre alt. Und eines der wichtigsten norwegischen Jazzfestivals muss wegen Umbauarbeiten am grüßten Saal in der Sardinenfabrik in das Stadtzentrum umziehen. Jon Skjerdal und sein engagiertes Team aber werden auch dort wieder zeigen wollen, was sich vor allem im aktuellen norwegischen Jazz gerade so tut.