Festival in der Altmark
Jazz im Kloster Jerichow - ein Livebericht
TEXT: Heinz Schlinkert | FOTO: Heinz Schlinkert
Bei strahlendem Sommerwetter fand Anfang August bereits zum siebten Mal das Festival „Jazz im Kloster Jerichow" statt. Drei Tage lang verwandelten sich die historische Klosterwiese und die ehrwürdige Klosterkirche des kleinen Ortes in Sachsen-Anhalt, nördlich von Magdeburg gelegen, in eine lebendige Bühne für Jazzmusik auf höchstem Niveau.
Das durchdacht konzipierte Festival überzeugte mit seiner „benutzerfreundlichen" Struktur: Fünf Konzerte an drei Tagen ermöglichten Besuchern aus ganz Deutschland – von Berlin über Hamburg bis nach Bayern, Sachsen und NRW – eine entspannte An- und Abreise. Künstlerischer Mittelpunkt war der Leipziger Komponist, Dirigent und Pianist Stephan König.
Das Kloster geht auf ein 1144 gegründetes Prämonstratenser-Stift zurück. Es ist schon lange nicht mehr ein kirchlicher Ort, in der Zeit der DDR war dort eine LPG angesiedelt. Inzwischen ist das Gebäude ein Museum, das zur Kulturstiftung Sachsen-Anhalt gehört und aufwendig restauriert wurde.
Die einzigartige Atmosphäre des Klosters prägt auch das Festival. Das Kloster bildet eine riesige Kulisse für die große Bühne, die auf der Wiese steht und weit mehr als die ca 500 Anwesenden aufnehmen könnte. Auf dem Außengelände gibt es Getränke und Bratwurst, kein Gedränge, viel Platz. Einige Besucher haben sich mit ihren Stühlen in den Schatten unter die Bäume gesetzt und verfolgen von dort das Programm; im Dunkeln sind die Bäume bunt angestrahlt
Freitag - The Blues Brothers
Zuerst kommt das tschechische ‚The Loop Jazz Orchestra‘ auf die Bühne gefolgt von, schon jetzt bejubelt, zwei schwarzen Sängern und einer Sängerin aus den USA. ‚Soul Man‘ singen sie geradezu paradigmatisch für den weiteren Verlauf des Konzerts.
Ganz ähnlich wie im dem berühmten Film von 1980 spielt die Band im auf 10 Instrumente abgespeckten Big Band Format mit dem Gesangstrio als ‚Blues Brothers‘ Stücke aus dem gleichnamigen Film. Nun geht es Schlag auf Schlag mit vielen recht kurzen und meist sehr bekannten Soul Stücken wie ‚Minnie the Moocher‘ ‚ Give me some lovin’, 'Who’s Making Love', ‚Evrybody needs somebody’. Nur wenige recht kurze Soli sind zu hören, die meist an der Melodie entlang laufen.
Das Trio bilden William Ramsey, Jordan Shores und Jillian Nicholson-Dicks. Sie sind Solisten des ‚Jeremy Winston Chorale‘ Gospelchors, der aus SängerInnen aus ganz USA besteht. Sie ziehen alle Blicke auf sich und dominieren in der Band. Phänomenal, wie sie eine Connection zum Publikum aufbauen, es direkt ansprechen, Tänzer und das Outfit einiger Besucher hervorheben und von einer „ wonderful audience“ sprechen.
Das Publikum ist geradezu angeturnt von der mitreißenden Musik und reagiert immer wieder mit viel Beifall, z. B. bei ‚Downhearted‘, dem Blues von B.B.King, besonders ‚Think’ und ‚Respekt‘ von Aretha Franklin. Und das ist auch eine politische Aussage, wenn vor dem fast 1000 Jahre alten Kloster, über das viele Stürme hinweggegangen sind, ein schwarzes Gesangstrio aus Amerika die Menschen auffordert zu denken und Respekt zu erweisen.
Als Zugabe erklingt ‚Release yourself’, standing ovations und dann, weil das Publikum nicht zu bremsen ist, noch einmal ‚Respekt‘. Die schwarze Sängerin Jillian Nicholson-Dicks singt nun solo, ihre beiden Kollegen tanzen vor der Bühne mit den Zuschauern. Respekt für diese wundervolle Festivaleröffnung!
3 Konzerte am Samstag
Die 1999 gegründete KON-BIG-BAND des Telemann Konservatoriums Magdeburg unter der Leitung von Mohi Buschendorf spielt vor allem Jazz Standards. Abwechselnd treten einzelne MusikerInnen mit Soli hervor, u. a. Maria Feigenberg mit ihrer zarten, aber markanten Stimme und der Posaunist Markus Hense, der seinem Instrument ungewöhnliche Töne entlockt und mit seinem kraftvollen Spiel an Trombone Shorty erinnert.
‚BILDER EINER AUSSTELLUNG The Jazz Version - Nun kommt Stephan Königs Jazz Quartett zum Zuge. Königs sehr anspruchsvolle Jazzversion von Modest Mussorgskis ‚Bilder einer Ausstellung‘ ist ein gewaltiges Werk von 80 Minuten. Stephan König erklärt zunächst den Aufbau des Stücks, das aus Bildern und ‚Promenaden‘ besteht. Den originalen Klaviersatz übernimmt er auf dem Flügel, doch hinzu kommen eine Fülle von Improvisationen, auch von Reiko Brockelt (Saxofon), Thomas Stahr (Bass) und Dominik Ehlert (Drums). Viele musikalische Zitate gibt es zu entdecken, auch aus der Rockmusik. Hier sind die Meister ihres Fachs am Werk und hier gehen Jazz und Klassik eine geradezu geniale Verbindung ein. Reiko Brockelt spielt neben Alt- und Sopransaxofon auch Klarinette und Flöte und glänzt mit einer Vielzahl glänzender Soli.
‚NORDLICHTER‘ - Eine beeindruckende Kulisse: Der große ‚GewandhausKinderchor’ aus Leipzig, ganz in Schwarz mit roten Halstüchern, betritt die Bühne. Das Jazzquartett kommt wieder dazu und es erklingt ein vielstimmiges Stück, das an die Carmina Burana erinnert. Danach kommt Rebekka Bakken dazu. Ganz in Weiß gekleidet und mit langen blonden Haaren wird sie vom gleißenden Scheinwerferlicht als Engel inszeniert. Sie stimmt mit ihrer warmen prägnanten Stimme ein skandinavisches Lied an, agiert mit ausgeprägter Gestik, sanft von Chor und Quartett begleitet. Feierlich, geradezu magisch.
Der ‚Kinderchor‘ besteht vor allem aus Teenies und ist schon oft mit Rebekka Bakken aufgetreten. Die jungen Sängerinnen, fast nur Mädchen, singen nicht nur, sie flüstern auch, summen und zischen, manchmal in Wellen, die den Chor von links nach rechts durchziehen, dirigiert von Frank-Steffen Elster. Rebekka Bakken hört oft nur zu, denn dem Chor wird viel Zeit eingeräumt.
Verwundern mag, dass mehrere Kirchenlieder zu hören sind wie ‚Kyrie Eleison‘, ‚Gloria’ und ‚Dona nobis pacem‘. Auch wenn man hier nicht die überkommene Frage stellt, ob das noch Jazz ist, ein klassischer Chor kann nun mal nicht swingen und schon gar nicht improvisieren, auch wenn Stephan König ihn dazu manchmal im Shuffle Rhythmus begleitet.
Altmark Festspiele in Sachsen Anhalt
Bei Sachsen Anhalt denkt man bei uns im Westen vielleicht an hohe Quoten für die AFD und ganze Dörfer, die von Rechtsradikalen terrorisiert werden. Doch der Eindruck täuscht, im nahen Stendal hat die AFD zwar 30% geholt, aber in Gelsenkirchen oder Wattenscheid könnte das bei den nächsten Wahlen ähnlich aussehen. Das Festival beweist vielmehr, dass sich auch in Sachsen Anhalt eine aufgeklärte Zivilgesellschaft behauptet.
Genau in diesem Zusammenhang stehen die ‚Altmark Festspiele‘, eine Organisation, die im Norden von Sachsen Anhalt viele Konzerte veranstaltet. In diesem Jahr hat sie die gesamte Leitung des Festivals in Jerichow übernommen. Intendant Reinhard Seehafer sagte bei der Eröffnung „Die Sprache der Menschheit ist die Musik“ und sprach sich damit indirekt gegen jede Form von Rassismus aus. Von politischen Statements, sagte er in einem kurzen Interview, hält er allerdings nicht viel, weil diese nur Meinungen darstellen; wichtiger sei es Vorbild zu sein. Genau das will auch dieses Festival.
Sonntag - besinnlicher Ausklang in der Klosterkirche
Mit einem ‚Jazzgottesdienst’ beginnt der letzte Tag des Festivals. Pastorin Rebekka Prozell begründet diese ungewöhnliche Form mit Gemeinsamkeiten von Kirche und Jazz, u. a. weil dieser auch aus dem Gospel entstanden ist. Lieder wie ‚Vor einem Winter‘ werden von Uschi Brüning und Stephan König vorgetragen im Wechsel mit Wortbeiträgen der Pfarrerin. Gegen Ende werden alle gebeten aufzustehen und das auf Kopien vorliegende ‚Glaubensbekenntnis eines Jazzmusikers‘ zu sprechen. Dabei handelt sich um die Übersetzung eines Gebets von John Coltrane, das dem Album ‚A Love Supreme‘ (1965) zugrunde lag.
Beim anschließenden Konzert singen und spielen Uschi Brüning und Stephan König 'Herzenslieder 2.0', die nicht unbedingt jedem gleich zu Herzen gehen, die aber im Osten Deutschlands sehr bekannt sind. 'Als ich fortging', ‚Dein Name‘, 'September' und 'Am Fenster' gehören dazu, haben eher den Charakter von Chansons. Auch ’Der Weg’ von Grönemeyer singt Uschi Brüning mit ihrer eindrucksvollen Stimme.
Das Duo ist mit diesem Programm erfolgreich auf Tour, doch warum müssen Herbst und September in den Liedern soviel Raum einnehmen, wenn draußen die Sonne knallt? Unklar bleibt - zumindest aus ‚Wessie‘-Sicht - warum gerade dieses Programm in das Jazzfestival aufgenommen wurde, denn Uschi Brüning kann auch ganz anders. Sie ist vor allem als Jazz. Sängerin bekannt, was bei diesem Konzert leider nur manchmal durchschimmert, z. B. wenn sie bei ‚Am Abend aller Tage‘ mit Improvisationen samt handclapping und scatting das volle Programm an den Tag legt und Stephan König mit Rock & Roll auf dem Piano agiert.
Uschi Brüning und Stephan König
Uschi Brüning war schon in der DDR eine Legende, wo sie als Schlagersängerin begann. Die inzwischen 78 jährige Jazz- und Soulsängerin ist oft mit Manfred Krug aufgetreten, sang auch schon 1986 beim 1. Internationalen Frauen-Jazz-Festival in Frankfurt am Main. Schon im letzten Jahr war sie in Jerichow dabei; erst im Mai dieses Jahres hat sie für ihr Lebenswerk den Deutschen Jazzpreis erhalten.
Stephan König ist eine Institution in der Leipziger Musikszene. Der 62jährige Pianist, Komponist und Dirigent hat für mehrere Orchester in Leipzig komponiert und leitet seit 1998 das von ihm gegründete "LeipJAZZig-Orkester" und seit 2007 das Kammerorchester 'artentfaltung'.
7 Brücken
Den alten Hit von Karat „Über sieben Brücken musst du gehen“, sang Uschi Brüning beim Konzert in der Kirche. Auch das Festival hat nun mit seiner 7. Auflage 7 Brücken hinter sich gelassen. Doch der „helle Schein“ hat sich schon lange vorher eingestellt, nicht zuletzt in diesem Jahr. Und er wird auch noch weiter scheinen, im nächsten Jahr vom 7. bis 9. August wieder am Kloster Jerichow.
www.altmarkfestspiele.de
www.st-koenig.de
www.uschibruening.info