Jazzfest Bonn 2017
Kurt Rosenwinkel – Bandit 65 / Hildegard lernt Fliegen
TEXT: Uwe Bräutigam | FOTO: Walter Schnabel/Lutz Voigtländer
Zwei Bands, wie sie unterschiedlicher nicht sein können, bezüglich der Gruppengröße, der Bewegung auf der Bühne und natürlich auch der Musik: das Trio Bandit 65 um den Gitarristen Kurt Rosenwinkel und Hildegard lernt Fliegen um den Schweizer Sänger Andreas Schaerer, spielen im Haus der Geschichte. Eines haben die beiden Gruppen bei aller Unterschiedlichkeit gemeinsam, sie sind Meister der Improvisation.
Unendliche Weite – Nichts ist heilig | Kurt Rosenwinkel – Bandit 65
Der aus Philadelphia stammende Kurt Rosenwinkel, einer der bedeutensten Gitarristen der Gegenwart, hat sich gerade von allen Sicherheiten gelöst, er hat seine Professur an der Musikhochschule aufgegeben, hat sein Management entlassen und seinen Plattenvertrag aufgelöst. Er gründete ein eigenes Label Heartcore Records, veröffentlichte dort seine aktuelle CD Caipi (seine 121. CD als Sideman oder Leader) und ist jetzt mit seinem Gitarren-Power-Projekt auf Tour. Er hat mit Joe Henderson, Joshua Redman, Brad Mehldau und vielen weiteren Größen gearbeitet. Eric Clapton ist Gastmusiker auf seiner letzten CD.
In der Band Bandit 65 spielt er mit einem weiteren Gitarristen aus Philadelphia, Tim Motzer, zusammen und begleitet werden die beiden Gitarreros von dem in New York lebenden Schlagzeuger Gintas Janusonis.
Das Konzert in Bonn beginnt mit dem Song The Cloister aus seinem Album Deep Song (Verve 2005). In der Originalbesetzung waren Joshua Redman und das Brad Mehldau Trio, wie es am Montag in der Oper Bonn auftritt, seine Sidemen.
Rosenwinkels Bandit 65 heben das Stück The Cloister von einem modernen Jazzstück auf eine gänzlich neue Ebene. Sphärische Gitarrenklänge mit langem Nachhall, evozieren Bilder einer weiten offenen Landschaft irgendwo in Arizona oder Nevada. Rosenwinkel hat die Rolle des Leadgitarristen und Motzer spielt Rhythmusgitarre, und schafft einen Klangteppich. Dann wechseln die beiden ihre Rollen und Tim Motzer spielt feine Americana Figuren, während Rosenwinkel mit allerlei elektronischen Soundelementen an seiner Gitarre für den Hintergrund sorgt. Gintas Janusonis schafft den Rhythmus und bringt ebenfalls verschiedene elektronische Elemente ins Spiel. Und er setzt immer wieder klangliche Brüche in Form von Klacken, Krachen oder anderen Geräuschen ein, damit der Sound nicht weich und süß wird.
Dieses Setting setzt sich während des ganzen Konzertes fort. Es ist faszinierend zu sehen, wie die beiden Gitarristen aufeinander eingehen, die Lead- und Rhythmusrolle wechseln, oder an manchen Stellen auch mehrstimmig spielen. An einigen Stellen klingt die Gitarre von Kurt Rosenwinkel wie eine Orgel. Die langen hallige Klänge schaffen einen hypnotischen psychedelischen Sound. Durch seinen Gesang, bzw. das Modulieren von Silben erhöht er dies Wirkung noch. Eine neue bisher nicht gehört Form von sphärischer Musik irgendwo im Grenzgebiet von Acid Jazz, Psychedelic Rock und Americana. Das Publikum im ausverkauften Haus der Geschichte ist begeistert und die Band muss eine Zugabe spielen.
Grüezi wohl Frau Stirnimaa | Hildegard lernt Fliegen
Das zweite Konzert des Abends ist wieder ein echtes Kontrastprogramm, wie wir es von vielen Doppelkonzerten des Jazzfest Bonn kennen.
Während viel Elektronik und lange gehaltene Töne das erste Konzert prägten und die beiden Gitarristen über ihre Gitarren gebeugt auf der Bühne saßen, kommt nun Bewegung auf die Bühne. Es gibt nun akustische Blasmusik aus der Schweiz. Viel tiefes Blech und Holz, Baritonsaxophon, Bassklarinette, Tuba, Posaune und Altsaxophon. Der Sänger kann eher als Klangakrobat bezeichnet werden. Hildegard lernt Fliegen. Sechs Musiker, die ständig in Bewegung sind, ihre Positionen und ihre Instrumente wechseln. Nicht nur die Bläser, auch der Schlagzeuger Christoph Steiner spielt abwechselnd an Marimba und Schlagzeug. Und allen voran Andreas Scherer, der sich wie ein Derwisch auf der Bühne bewegt. Mal singt er klassischen Jazzgesang, dann fällt er in ein Bellcanto, imitiert ein Blasinstrument oder erzeugt rhythmische Klack- und Schnalzgeräusche und ersetzt damit Perkussion. Seine Vokalkunst geht mit vollem körperlichem Einsatz einher und ist immer mit einem Augenzwinkern verbunden. Hildegard lernt Fliegen ist nicht nur eine Jazzband, sondern auch ein Stück Variete. Aber es geht hier nicht um billigen Klamauk und oberflächliche Effekthascherei. Hildegard hat eine beträchtliche musikalische Flughöhe, sowohl im Zusammenspiel als auch bei den herausragenden Soli, die die einzelnen Musiker spielen. Von “ Fliegen lernen“ ist die Band bereits meilenweit entfernt. Ihr Frontmann Andreas Scherer ist mit seinem freundlichem Auftreten und seinem charmanten schweizerisch eingefärbtem Hochdeutsch eine wirklicher Sympathieträger. Das Publikum ist von Hildegard lernt Fliegen hingerissen, zum Abschluss gibt es lange Standing Ovations.
Als Zugabe setzen sich die Musiker auf den Bühnenrand und spielen mit Blockflöten, Daumenklavier und Bass zum Ausklang ein Schlaflied. Hildegard hat es geschafft, dem herausströmenden Publikum ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern. Die Band zeigt, dass hochwertiger Jazz, Humor und Verspieltheit wunderbar zusammen gehen können. Hildegard lernt Fliegen schafft es dem herausströmenden Publikum ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern.
Andreas Scherer – Stimme
Andreas Tschopp – Posaune, Tuba
Benedikt Reising – Bariton- und Altsaxophon, Bassklarinette
Christoph Steiner – Schlagzeug, Marimba
Marco Müller – Bass
Matthias Wenger – Sopran- und Altsaxophon
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