Jazz-Transforming
winterjazz köln 2015
TEXT: Stefan Pieper | FOTO: Gerhard Richter
Beim Winterjazz in Köln ist das Durchschnittsalter des Publikums jedenfalls nicht circa doppelt so hoch wie das vieler Musiker. Denn die Stadt Köln nutzt mit der großzügigen Förderung dieses Festivals rund um den Stadtgarten die Chance, den Jazz zu einem jungen Publikum zu bringen, das sich treiben lässt und dabei die Ohren für Unerhörtes öffnet. Da wird Kultur als öffentliche Aufgabe gefördert, was im Bereich des Jazz ja eher nur marginal passiert, verglichen mit dem bürgerlichen Hochkulturbetrieb...
Und sie können zuhören, die Menschen, die den großen Saal im Stadtgarten gleich zu Anfang bestens füllten. Man lauschte andächtig dem osteuropäisch angehauchten, atmosphärisch bezwingenden Spiel eines Trios um den Geiger Radek Stawarz, dem ein eigenwillig über den Dingen schwebender Pianist Stevko Busch sowie der Schlagzeuger Christian Thome mit einem Feuerwerk vielen klanglichen Einfällen zur Seite stand. Das lebte eine sehr poetische Musiksprache gleich zu Anfang dieses Abends!
Viel später nahm ein sehr persönlich wirkender, von kammermusikalischer Empfindsamkeit gesättigter Solovortrag der Pianistin Laia Genc für sich ein. Sie ist ein besonders hoffnungsvolles Nachwuchstalent. Sie favorisiert die langen episch-assoziativen Bögen in ihrem Spiel. Repetitive rhythmische Muster holt sie aus den Tasten, verarbeitet sie mal minimalistisch, dann später auch in neutönerischer Aleatorik. Ein stilsicher verinnerlichtes Jazzideom blitzt dabei eher punktuell auf. „Ich bin so glücklich, hier ganz alleine für mein Publikum hier zu spielen“ lobte die Pianistin die dankbare Offenheit ihrer Zuhörerschaft.
Man hat die Qual der Wahl
Es war wieder mal voll auf diesem Festival, aber die Organisation wirkte in diesem Jahr strukturierter und machte den Aufenthalt in den verschiedenen Lokalitäten durchaus entspannter. Man verpasst zwangsläufig viel – egal ob man zu den stationären Hörern gehört, welche das ganze Festival über vor einer Bühne ausharren, oder ob man eher zur Fraktion der fleißigen Pendler zählt.
Aber Pluralität ist in Köln Programm - nicht zuletzt, um zu zeigen, dass Jazz vielerlei Kontexten zuhause sein kann. In dichter Kellerbar-Atmosphäre des Studios im Stadtgarten vibrierte die Luft bei einem der reifstenVorstöße in Sachen zupackend präsentiertem Modern Jazz. Der Bassist André Nendza vereint die improvisatorischen Sprachen der beiden anderen Triomitglieder unter dem Projektnamen „Tria Lingvo“. Man erinnere sich an die Sprache „esperanto“ – diesem Idiom ist diese programmatische Wortschöpfung entlehnt. Drei Musiker, drei Ästhetiken, ein gemeinsamer Wille zum sportlich kühnen improvisatorischen Ausdruck – dies stemmte auf der Studiobühne im Stadtgarten André Nendza zusammen mit Christoph Hillmann am Schlagzeug und dem Saxofonisten Johannes Lemke . Mit unglaublicher rhythmischer Finesse und einer starken Vorliebe für französische Einflüsse, vor allem bei Christoph Hillmann . „Aldo Romano ist einer meiner ganz großen Idole“ verriet der Kölner Schlagzeuger hinterher.
Noch voller und komprimierter ging es auf der anderen Seite der Venloer Straße, etwa in der Kneipe Zimmermanns zu. Da arbeitete sich ein junges Trio auf erstaunlichen Wegen an einem Spannungsfeld von Jazzrock bis Neuer Musik ab: „Westinato“ favorisiert futuristische manchmal auch psychedelische Klänge auf dem elektrifiziertem Vibrafon. Das rockte, aber da weiteten auch viele wagemutige Intervalle den Horizont des geneigten Hörers.
Eine Kneipe bleibt eine Kneipe, auch wenn dort improvisierte Musik stattfindet. Auch dies kann eine Art klangliches Material sein, mit der sich „Westinato“, aber auch die anderen Bands an diesem Ort, offensiv und mutig auseinandersetzen.
Keine Hochglanzoberflächen
Das alles ist in Köln nicht immer perfekt und ignoriert auch die Hochglanzoberfläche, aber dadurch wirkt dieses Festival so erfrischend spontan. Stefan Zimmer , ein Kölner Jazztrompeter wagte in der neuen Eckkneipe namens „Umleitung“ reibungsvolle Experimente mit einem Perkussion-Partner. Beide testeten neue Spiel – und Hörsituationen aus. Zimmer jedenfalls ist nach wie vor begeistert von diesem Konzept: „Ich spiele an so einer Location doch viel lieber als in einem gerade mal halb leeren Jazzclub“ so sein Fazit, das eine Lanze für dieses etwas „andere“, von Angelika Niescier ins Leben gerufene Festivalkonzept bricht.
Auch die quirlige Festivalkuratorin höchstselbst griff zu vorgerückter Stunde zu ihrem Horn. Die Saxofonistin hatte eine finale Jamession anberaumt, in der ein halbes Dutzend Musiker wie in einer großen Familie für einen verstorbenen Weggfährten aufspielten: Der Vibrafonist Rupert Stamm lebte lange in Köln. Mit lyrischem Tiefgang, aber auch ganz viel nach vorne blickender Spielfreude ließ die Spontanbesetzung etliche von Stamms Kompositionen in Würde aufleben.