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Jazz in Paradise

33. Südtirol Jazzfestival Alto Adige 2015

Bozen, 18.07.2015
TEXT: Bernd Zimmermann | FOTO: Bernd Zimmermann

Da klettert eine britische Streetmarching-Band über eine Leiter auf einen acht Meter hohen Felsbrocken und rockte bei strahlend blauem Himmel den Rosengarten. Drei Jazzmusiker reiten über eine Almwiese zu einer in 2000 Meter hoch gelegenen Berghütte und begeistern das hier bewusst aufgestiegene oder zufällig anwesende Publikum mit ausgefeilten Interpretationen alter Western-Melodien. Halleluja!

Das sind nur zwei von vielen Höhepunkten des diesjährigen Südtirol Jazzfestivals, das in diesem Jahr in 10 Tagen mit 80 Konzerten an 57 Orten alle bisherigen Rekorde übertraf und damit nicht nur zu einem der interessantesten und innovativsten sondern auch größten Jazzfestivals Europas avancierte und gleichzeitig es dem Autor sehr schwer macht, einen kurzen und knackigen Beitrag zu verfassen.

Länder-Schwerpunkt des diesjährigen Festivals war Großbritannien. 23 von 47 Bands kamen von der Insel. Aber dennoch lebte das Festival vor allem von den vielen international zusammengestellten Formationen.

Schon das Eröffnungskonzert im Stadttheater Bozen machte dies deutlich und veranschaulichte gleichzeitig, worauf es dem Festivalleiter Klaus Widmann ankommt. Das Südtirol Jazzfestival soll ein Musikfest für „Entdecker“ – und eine Kreativwerkstatt für innovative Musikerinnen und Musiker sein, die sich in Südtirol treffen und dabei neue Projekte verabreden. Der Schweizer Stimm-Akrobat Andreas Schaerer (CH) (Hildegard lernt fliegen) traf bei diesem Konzert Leila Martial, Valentin Ceccaldi (F), Soweto Kinch (GB), Martin Eberle, Peter Rom, Benny Omerzell (A) und Ruth Goller (GB/I). In wechselnden Formationen begeisterten vor allem die drei Vocalisten Schaerer, Martial und Kinch und der Trompeter Martin Eberle das Publikum. Eine weitere Besonderheit dieses Festival konnte man dann in den folgenden Tagen erleben. Nämlich dann, wenn diese Musiker mit anderen Formationen an anderen Orten aufspielten, Wie beispielsweise Soweto Kinch mit seinem Quartet auf dem Obstmarkt umsonst und draußen. Im Wechsel kombiniert er in seinen Konzerten wie kaum ein anderer als Rapper die Musik junger Leute und als Saxophonist die richtig alte Schule des Jazz im Stile eines John Coltrane. Dementsprechend groß war auch die Publikumsresonanz. Währenddessen war Schaerer in zwei Workshops im Vinschgau unterwegs, deren Ergebnisse er mit den Teilnehmern auf öffentlichen Plätzen dem oft zufällig vorbeikommenden Publikum vorstellte. Übrigens auch so eine Besonderheit beim Südtirol Jazzfestival. Immer wieder werden Südtiroler und Touristen eingeladen, den Jazz kostenlos und spontan neu zu entdecken.

Nun aber zu den Highlights des Festivals, wie zum Beispiel den Killing Popes, die in Schlanders, zwischen Meran und dem Reschenpass gelegen, auf der gleichnamigen Burg spielten. Dieses Konzert war eines der spannendsten im gesamten Festivalplan. Ein Spielort wie aus einem Märchen, eine Band, die gezielt auf die Wurzeln im Hardcore- und Punkrock zurückgreift – und versucht die Energie dieser rauen, aufmüpfigen und explosiven Musik in die komplexe Formensprache des Jazz zu übersetzen und dabei das musikalische Gaspedal voll durchgedrückt, trifft auf ein nicht einzuschätzendes Publikum. Dementsprechend war die Nervosität bei Oliver Steidle (D), Petter Eldh (S), Kalle Kalima (FIN) und Kit Downes (GB) mit den Händen zu greifen. Und genau diese Spannung war es, die dieses Konzert zu einem ganz besonderen machte. Da flogen dem Publikum die Noten in rasender Geschwindigkeit und Präzision nur so um die Ohren. Oliver Steidle trieb pausenlos seine Mitstreiter mit seinem hochfrequentem Schlagzeug-Spiel vor sich her. Nach anfänglicher völliger Verwirrung über den wahnsinnigen Gegensatz zwischen Erwartetem und Präsentiertem obsiegte letztendlich das Unerhörte und das zunächst tapfere und dann begeisterte Publikum war letztendlich völlig aus dem Häuschen.

Der Gitarrist dieser Formation, Kalle Kalima, war es auch, der sich mit zwei weiteren Formationen zu einem der herausragenden Akteure des diesjährigen Festivals entwickelte und seine schier grenzenlose stilistische wie spielerische Vielfalt demonstrierte. Während er im unaussprechlichen Semirurali Park mit den Glorreichen Sieben (Kalle Kalima, Flo Gätte (CH), Christian Lillinger (D), Alfred Vogel (A)) dem Rockbarden Neil Young und Pink Floyd huldigte meisterte er unter dem nagelneuen Label Kalle Kalima's Long Winding Road mit Greg Cohan (USA) und Max Andrzejewski (D) brillant einen kaum möglich erscheinenden Spagat zwischen Kitsch und Kunst. Finnische Volksmusik, Marschmusik von Jean Sibelius oder Country-Standards wurden lässig und auf spielerische Art aufs Feinste interpretiert. Emotionaler Höhepunkt: Leonard Cohen's Halleluja mit Blick auf Sella, Langkofel und Co..

Ein weiterer herausragender Protagonist des Festivals war Kit Downes. Er half zusammen mit der gebürtigen Südtirolerin Ruth Goller Klaus Widmann nicht nur bei der Zusammenstellung des britischen Parts sondern beeindruckte ebenso wie Kalle Kalima mit seinem überreich vielfältigen Spiel. Neben den Killing Popes konnte man ihn im Duo mit Ruth Goller oder Lucy Railton oder seiner Band Troyka erleben. Deren Ankündigung im Programmheft machte besonders neugierig. Diese Mischung aus Garagenrock, Jazzimprovisationen und Tanzmusik passt in keine Schublade. Die Band klinge wie „King Crimson für die iPod Generation” (Time Out). Und tatsächlich haben die drei Londoner ein besonderes Händchen, wenn es um die Einverleibung von Referenzen geht: Vom Fusion-Sound der 1970er rast die Zeitmaschine kurvenreich in die Elektronikwelt seit den 1990ern. Und nachdem Troyka es zwischendurch auch mal in einer deftigen Bluesrock-Passage haben krachen lassen, wuchert im nächsten Stück schon die quirlige Chaotik des Londoner Undergrounds mit schrägen Rhythmusexzessen und wabernden Subbässen – Dubstep, Grime und co..

Apropos London Underground: Der britische Jazz ist jung und frisch, hat seine eigene Farbe und schert sich einen Dr... um die reine Lehre. Der Brit-Jazz, der auf dem Südtirol-Festival präsentiert wurde war über weite Strecken nichts für die Jazzpolizei. Hip-Hop, Progressiv-Rock, Punk, Club. Alles wird schamlos verarbeitet. Und wenn diese hoch-talentierten Jazzmusiker sich dieser Musikrichtungen bedienen kommt etwas heraus, was Augen, Ohren und Hirn begeistert. Ob Shiver, das Trio um den Gitarren-Soundakrobaten Chris Sharkey, oder zum Beispiel die drei Jungs von Three Trapped Tigers, die den Walther-Platz in Bozen rockten, fragte man sich schon, wo da noch der Jazz ist, aber wen interessiert das wenn die Musik einen erwischt.

Faszinierend auch die britischen Streetmarching-Bands. Allen voran Perhaps Contraption. Sie waren es, die am letzten Festivaltag auf den Felsbrocken am Rosengarten kletterten und ihre hinreißende Performance und kaum zu beschreibende Musik zelebrierten. So müsste es geklungen haben wenn Frank Zappa mit Gentle Giant durch die Straßen von New Orleans marschiert wäre. Diese Band sprüht nur so von unbändiger Energie und Kreativität. Wer dieses Event am Rosengarten erlebt hat wird immer wiederkommen,

Nicht alles ist in Südtirol so spektakulär. Neben den grandiosen Spielorten gibt es auch immer wieder Konzerte an Orten die zum relaxen und träumen einladen und mit spannenden Formaten und Programmen aufwarten. So im Bozen Filmclub in dem der in Frankreich lebende britische Bassist Paul Rogers und der Schlagzeuger Mark Sanders den Filmklassiker "Modern Times" musikalisch neu interpretierten. oder die britische Sänger Julia Biel, die als eine der großen neuen Jazzstimmen der Insel gilt und vom Publikum im Parkhotel Holzner in Oberbozen begeistert gefeiert wurde.

Und dann gibt es noch die Kategorie "wo haben die sich denn so lange versteckt. Hierzu gehört die belgische Bigband "Flat Earth Society" die in witzig-unterhaltsamer Weise hinter dem Museion, dem Museum für zeitgenössische Kunst ein schillerndes Konzert hinlegte.

Neben den vielen Veranstaltungsorten soll diesmal eine weitere Location nicht unerwähnt bleiben. Im Zentrum Bozens und des Festivals ist das "Batzen". Dieses, im 15. Jahrhundert erstmals erwähnte Gasthaus zählt zu den ältesten im Alpenraum. Hier treffen sich nach einem Festivaltag Musiker, Journalisten und so mancher Festivalbesucher zu einem entspannten Plausch über Gehörtes und Erlebtes und den Tourplan für den nächsten Tag.

Dieses Festival mit seinen vielen kostenlosen Konzerten an zentralen und spektakulären Orten ist ein Highlight und absoluter Glücksfall für den europäischen Jazz. Es bewirkt nicht nur in Südtirol ein, wenn auch langsames Umdenken beim hiesigen Kulturangebot, weg von der Holereiduliö-Masche à la Musikatenstadl, sondern motiviert auch viele anwesende Touristen zu Hause mal wieder ein Jazzkonzert zu besuchen.

Wir wünschen uns natürlich, dass auch Deutschland mal Schwerpunkt bei diesem so außergewöhnlichen und innovativen Festival wird. Nächstes Jahr auf jeden Fall erst mal nicht. Da sind, so konnten wir aus gewöhnlich gut unterrichteten Kreisen erfahren, die Österreicher und Italiener dran.

Jede Menge mehr Eindrücke vom diesjährigen Jazzfestival bekommt Ihr auf der Facebook-Seite des Südtirol Jazzfestivals.

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