Jazz Free
Neues Projekt, neuer Avishai Cohen
TEXT: Peter E. Rytz | FOTO: Peter E. Rytz
Wo Avishai Cohen drauf steht, sollte auch Cohen drin sein. Klar, aber doch nicht ganz. Cohens Auftritt im unbestuhlten domicil in Dortmund ist nicht der des brillanten Jazz-Bassisten. Er präsentiert sein neuestes Projekt. Bezeichnet mit Jazz Free, ist es ein musikalisch grenzüberschreitender Parforceritt.
Von Improvisationen über hebräische Volkslieder wie Hava Nagila oder israelische Tänze wie Od Yishama über Negro Spirituals wie Sometimes I Feel Like a Motherless Child, in der Interpretation von Deep Purple zu Pop-Ikonen geworden, bis zu eigenen Kompositionen reicht das musikalische Spektrum. Keine puristischen Berührungsängste zwischen Jazz-Improvisation, Rhythm'n'Blues oder Elektro-Pop. Allein der Groove, der Rhythmus, der Sound im Zusammenspiel bestimmt Jazz Free.
Mit der Cellistin Yael Shapira, mit seinem langjährigen Percussionisten Itamar Doari und mit dem charismatischen Oud-Spieler Elyasaf Bishari hat Cohen Garanten für eine übersprudelnde Klangfarbigkeit an seiner Seite. Ergänzt hat er sein Ensemble durch Tal Kohavi, einen expressiv harte Beats skandierenden Drummer sowie Yonatan Dasskall, der an den Keyboards manchmal etwas zu heftig an den Reglern mit dem Ergebnis dreht, dass elektronische Rückkopplungen überproportional den Klang dominieren.
Cohen, wechselweiseKontrabass oder E-Bass spielend, singt dazu mit baritonal einschmeichelnder, erotisch aufgeladener Stimme. Er präsentiert sich dabei als Entertainer in bestem Sinne. Durch nonchalantes Understatement bei seinen Songankündigungen, wie beispielswiese bei seiner Eigenkomposition Blues about a woman, gewinnt er das Publikum im domicil im Laufe der fast zwei Stunden non-stop ganz für sich. Selbst so trivial klingende Liedzeilen wie I love you, die häufig über Schmuse-Kitsch nicht hinaus kommen, setzt er mit since be so long noch eins drauf und findet einen vielfarbigen Klang.
Typisch auch, wie Cohen es versteht, harmonikale Improvisation in einen Sound einzugrooven. Wenn Yael Shapira mit einer Cello-Improvisation den Konzertabend eröffnet und später noch einmal die exotische Celllo-Klangfarbe ausstellt, ist dies eine Sound-Vorlage, in die Cohens Stimme, begleitet vom E-Bass, sowie Bishari Oud von einem dumpf rhythmisierenden Percussion-Drive von Doari in melodischer Schönheit geflutet wird. Cohens Hände flirren kaskadenartig über das Griffbrett und übersetzen den Sound in visuelle Assoziationen. Remember about the woman, lässt er das inzwischen nahezu euphorisch gestimmte Publikum wissen.
Die Grundstruktur von Jazz Free wird von Cohens hebräisch gesungenen Tanz-Folkloren bestimmt. Den Rhythmus an Anlehnung von Nigun Shel Yossi übersetzt Bishari im Zusammenspiel von Oud und Körperbewegung in eine improvisierte Tanz-Performance. Das Publikum folgt willig der Aufforderung, mitzuklatschen.
Nach einem solchen letzten Song kann noch nicht wirklich Schluß sein. Cohen will sich schnell verabschieden: So long, we’re going! Aber da kennt er die Ruhrgebietler schlecht. Auch seine generöse Geste – yesterday in Zürich it was great, butyou are the best audience – bleibt wirkungslos. Erst nach drei Zugaben ist Schluss. Für die Fans im domicil hätte es durchaus noch länger gehen können. Aber der durchschwitzte Hemdrücken, das letzte, was man bei Cohens Abgang von ihm sieht, ist ein deutliches Zeichen.
Nach diesem Konzert darf man auf die CD-Einspielung sehr gespannt sein.