Intensität in Vollendung
Jan Garbarek Group beim Usedomer Musikfestival
TEXT: Stefan Pieper | FOTO: Stefan Pieper
Das Usedomer Musikfestival ist zwischen September und Oktober ein Kosmos der kulturellen Vielschichtigkeit – und dies zuweilen an unkonventionellen Spielstätten in dieser Grenzregion zwischen Deutschland und Polen. Vielschichtig genug sind auch die kulturellen Einflüsse in Garbareks Band, vor allem seit der Schlagzeuger Trilok Gurtu ein Gegengewicht zur stilprägenden Ästhetik des Norwegers Jan Garbarek liefert. Dies bewies ein Konzert in einer umfunktionierten Lokhalle der Usedomer Bäderbahn vor internationalem Publikum.
Eigentlich ist Litauen der thematische Länderschwerpunkt beim diesjährigen Konzertmarathon an der Ostsee von Mitte September bis Anfang Oktober. Das enthusiatisch gefeierte Gastspiel der Jan Garbarek Group mit Trilok Gurtu, Rainer Brüninghaus und Yuri Daniel war eine Übernahme aus dem letzten Jahr, wo Norwegen der Länderschwerpunkt war.
Garbarek live in dieser Band zu hören, rückt so manches Stereotyp eindrücklich zurecht: Der sonst so unnahbare Meister auf Sopran- und Tenorsaxofon ist eben nicht nur ein unnahbarer Fixstern am Himmel, der in den 1970er Jahren dazu aufbrach, die Kategorie "Jazz" hinter sich zu lassen und damit eine nachhaltige Emanzipition von jedem amerikanischen Kulturimperialismus vollzog. Garbarek live auf dem Usedomer Musikfestival inmitten seiner Band kommt seinem Publikum vor allem als gleichberechtigter, unaufgeregter Teamplayer nahe. Ganz weit ist der epische Rahmen gleich zu Beginn des Konzerts. Es überwältigen die Gefühlswogen einer Melodie, die irgendwo auch choralartig anmutet, aber auch immer Tore ins Rätselhafte aufstößt. Das ganze ist bei einer fast schon einschüchternden Erhabenheit in jedem Moment tief geerdet und schwingt sich immer wieder zu einer lyrischen Intensität auf, die man nur noch als vollendet bezeichnen konnte. Trilok Gurtu sorgt an seinem Riesen-Instrumentarium für perkussives Schwergewicht. Aber daraus erwächst viel mehr, da es in viel mehr gründet. Gurtus vielgestaltige, aus den mannigfaltigen Quellen der indischen Perkussionskunst genährte Rhetorik ist neben Garbareks charismatischem Spiel ein zweites, mächtiges Zentrum innerhalb der Band geworden. Natürlich hat Gurtu auch Tablas im Einsatz, die ja bekanntlich über fest definierte Tonhöhen verfügen, woraus verfeinerte Basslinien und melodische Prozesse erwachsen.
Garbareks Spiel – und damit sämtliche melodischen Facetten umspannen alles, was wir von vielen unterschiedlichen Aufnahmen und Schaffensphasen kennen. Schwelgerlich, ergreifend, sanglich – und trotz seiner Erhabenheit keineswegs abgehoben - breiten sich die Melodiebögen aus. Auf dem Tenor weiß er mindestens ebenso kraftvoll zu phrasieren und ist mit diesem Sound noch mehr in seiner Band tief "mittendrin". Ohne Rainer Brüninghaus am Piano würde aber nichts so funktionieren, vor allem dessen harmonische Erfindungskraft stellt eine weitere tragende Säule dar. Und Yuri Daniel auf seinem funkigen fünfseitigen E-Bass! Was für eine Quelle nie versiegender, beflügelnder rasanter Vitalität.
Der Abend nimmt seinen Lauf, zieht alle in ihren Bann: Zu Anfang sind des die reichhaltig verschachtelten, epischen Kompositionen, man kann hier fast schon von Songstrukturen sprechen. Später dominieren immer mehr die solistischen Entfaltungen, bei denen alle anderen, die gerade nichts zu tun haben, wie beim Auftritt einer großen Rockband die Bühne verlassen. Faszinierend ist ein Duett zwischen Jan Garbarek und Trilok Gurtu: Garbarek spielt betont akzentuiert auf einer Art Rohrflöte, Gurtu antwortet nicht nur perkussiv sondern auch melodisch. Gerade dieser Dialog ist aufschlussreich für jene Formel, welche der langjährigen Seelenverwandtschaft zwischen Jan Garbarek und Trilok Gurtu zugrunde liegt. Auf dieses besondere küsntlerische Nehmen und Geben in ausgewogener Symmetrie hatte Gurtu im kurzen Gespräch vor dem Konzert ausdrücklich hingewiesen.
Jan Garbarek und seine Band kommen auch nach NRW: Und zwar im Rahmen des Jazzfest Bonn am Sonntag, 24.10.2021. Spielstätte ist das Telekom Forum. Es sind auch noch Karten bestellbar!
Telekom Forum
Landgrabenweg 151
53227 BONN
SONNTAG, 24.10.21 - BEGINN: 19:00 UHR
Infos zum Usedomer Musikfestival