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Inspirierende musikalische Experimente

Köppen - Jörgensmann

Wuppertal, 30.04.2013
TEXT: Ingo Marmulla | FOTO: Ingo Marmulla

Manche „Dinge“ kann man mit Worten nur unzureichend, manchmal auch gar nicht beschreiben. Zu diesen „Dingen“ gehört auch die Musik. Nun gibt es zwar Noten, und wer diese lesen kann, erhält schon einen genaueren Einblick in das akustische Phänomen hinter den Zeichen, obgleich die jeweilige Interpretation so ziemlich alles zulassen kann, was nicht in den Noten steht. Was aber schreiben, wenn die Musik ausschließlich improvisiert ist und sich, wie im vorliegenden Fall, an wenige standardisierte Kategorien hält.

Um es gleich zu sagen, das Konzert im Kammermusiksaal der Hochschule für Musik und Tanz in Wuppertal hat mir gut gefallen, nur ist diese meine Aussage sehr subjektiv und für Leser einer Konzertkritik wenig informativ. Ich will es aber dennoch wagen: das unmögliche Unterfangen, den Konzertabend in Worte zu fassen.

Fangen wir mit der Beschreibung des Konzertbeginns an. Auf der Bühne befinden sich neben dem Flügel zahlreiche Mikrophone. Die Improvisationen werden für eine neue CD der beiden Protagonisten mitgeschnitten. Jeder Ton zählt also, und das erschienene Publikum verhält sich entsprechend leise. Auch der Fotograf Kurt Rade mit seiner Spiegelreflexkamera muss sich dezent zurückhalten.
Die Musiker betreten die Bühne. Bernd Köppen, in helles Leinen gekleidet, erzählt uns von der 12-jährigen künstlerischen Pause des Duos, und von der Subskriptionsmöglichkeit für die CD, deren Töne ab jetzt eingefangen werden.

Jörgensmann in dunklem Grau befindet sich an seinem Platz und konzentriert sich auf seinen Einstieg.
Köppen beginnt mit leisen Klängen, mich erinnern sie an Webernsche Klaviervariationen mit Monkschem Einfluss. Nach einer kurzen Introduktion kommt Jörgensmann dazu. Es entwickelt sich ein ruhiger Dialog mit Pausen. Wie in einem Gespräch, in dem der Partner überlegt, bevor er sinnvoll antwortet, entwickeln sich hier wohlüberlegte, oder besser gesagt, zurückhaltend empfundene Interaktionen. Für den Zuhörer(-schauer) ist dies angenehm, hat er doch genügend Zeit dem musikalischen Prozess zu folgen. Wir vernehmen Fragen und Antworten in einer eher atonalen Sprache, dennoch bei Köppen mit viel Gefühl vorgetragen, manchmal auch an Klänge spätromantischer Klavierkompositionen erinnernd und bei Jörgensmann gespielt mit einem deutlichen Jazzidiom. „Das soll auch so sein,“ vertraut er mir später an, „denn da komm ich her!“ Während Köppen zu schnelleren Tempi überwechselt, seine Brille neben sich legt, mit dem linken Fuß in einer imaginären Zeit mitwippt, hören wir in Theos freiem und expressivem Spiel Melodien mit einem Jazzphrasing und Verzierungen, die uns an Jimmy Guiffre erinnern.

Der Dialog ist auch keine Einbahnstraße, oder ständiges Bejahen ... Es sind Kontrapunkte zu hören. Auf eine balladeske Phrase wird plötzlich aggressiv geantwortet, auf diesem Konfliktfeld entwickeln sich neue Improvisationsrichtungen, aus kurzen Motiven werden neue Themen entwickelt, die Musik auf der Bühne bleibt spannend und geht in unvorhersehbare Richtungen weiter. Auch wenn die Musiker, und davon gehen wir aus, erfahrungsmäßig über einen Katalog von gemeinsamen Aktionen verfügen, wirkt hier alles neu und spontan. Es gibt keine Selbstzufriedenheit, immer wird nach neuen Klangmöglichkeiten des gemeinsamen Spiels gesucht, ein sicheres Kennzeichen für eine ehrliche Kunstauffassung. Dennoch ist nicht alles dem Zufall überlassen. Wenn der richtige Zeitpunkt für ein Ende erscheint, gibt es keine Zweifel über einen gemeinsamen Schlusspunkt. So entstehen Stücke mit ganz unterschiedlicher Länge...

Stück Nr.2 (Den Titel erfahren wir nicht. Sagen wir: der 2.Satz eines Improvisationskonzertes in mehreren Abschnitten) beginnt mit der Klarinette. Jörgensmann kreist mit seinem Instrument um das Aufnahmemikrophon und erzeugt damit ein „Phasing“, das so manchen Aufnahmetechniker zur Verzweiflung bringen kann, seinen Ton aber auch unvergleichlich macht. Köppen antwortet in großen Intervallsprüngen, eruptiven Clustern in der rechten und umspielenden Punktklängen, erzeugt mit den Fingerspitzen der linken Hand. Die Tempi gehen rubato-artig ineinander über. Hier hören wir auch mal eine Andeutung von Stridepiano bei Köppen, und den Wechsel von parallelen Melodien der Improvisateure hin zum konträren, konfliktträchtigen „Diskutieren“. Auch hier ein überraschendes, aber zwingendes Fine.

Über jedes Stück zu schreiben wäre zu langatmig. Im Laufe des in zwei Teile gegliederten Abends hören wir etliche intensive Klänge und sind Zeugen verschiedener außergewöhnlicher Instrumentaltechniken. Auf dem Klavier bringt Köppen bei einigen Klangflächen die Obertöne besonders hervor, setzt die Pedale geschickt ein, spielt Tonrepetitionen. Wir hören die Klappengeräusche der Klarinette als substantiellen Bestandteil der Improvisation, das Klavier spielt divergierende, auseinander laufende Linien, Theo singt in seine Klarinette hinein, Liegetöne werden durch Staccati kontrastiert. Beeindruckend auch die schnellen Melodieknäuel in enger Lage, die von der Klarinette ausgehen, um dann vom Klavier aufgegriffen zu werden und in einem tosenden Forte fortissimo enden ... Zu erwähnen auch die Klavierpräparationen von Köppen, der auf die Basssaiten seines Instrumentes Metallstäbe legt, die völlig neue Klangmuster anbieten.

Eine „Improvisation“ - oder vielleicht doch „Komposition“ - fällt auf. Auch wenn Köppen und Jörgensmann sich nicht scheuen, neben einer grundsätzlichen All-Tonalität auch mal in reines Dur oder Moll über zu gehen, so gab es nur dieses Stück, das sich konsequent dominantseptakkordisch in thematischen Sextintervallen entspann. Von Köppen vorgetragen und entsprechend (bluesmäßig) von Jörgensmann voran getrieben, klingt dieses Stück irgendwie afrikanisch, erinnert ein wenig an Dollar Brand. Auf die Tonart angesprochen, sagt mir Köppen: „Das war in G-Dur. Ideal für Theos G-Klarinette.“ Dieses Instrument spielen in der Tat nur wenige Klarinettisten. Es klingt tiefer und nach Theos Aussage sind auf Grund der größeren Klappenabstände andere Phrasierungsmöglichkeiten gegeben. „Man kann hier sogar tenormäßig improvisieren, nicht so verzierungsorientiert, wie auf der traditionellen B-Klarinette.“

Nach zwei Zugaben! ist der Abend zu Ende. Und man muss über das Publikum staunen, das so konzentriert zugehört und das Konzert mit lang anhaltendem Applaus bedacht hat – und Teil des Livemitschnittes bleiben wird. Für mich persönlich war es auch ein Wiedersehen mit musikalischen Weggefährten und ein musikalischer Vortrag mit inspirierenden musikalischen Experimenten und Wegweisern in neue Sphären ...

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