Der Körper wurde zum Instrument
Das In Front Festival Aachen 2023 überzeugte wieder
TEXT: Stefan Pieper | FOTO: Stefan Pieper
„Künstliche Intelligenz versus künstlerische Intelligenz“ - das In Front Festival in Aachen demonstrierte farbenreich, dass letzteres nach wie vor ein Gegengewicht zu allem Künstlichem darstellt. Ein kleines, ambioniertes Festival mit vermeintlicher „Nischen-Musik“ und dies an einer Spielstätte, die von außen wie eine Straßenüberführung aussieht, ist Antithese genug zu jeder algorithmen-generierter Denkweise, die längst auch hinter jeder kommerziellen und vielliecht auch kommunalen Verwertungslogik steht.
In diesem Spannungsfeld hat auch die Gesellschaft für Zeitgenössische Musik um das Überleben seines kultigen Spielortes zu kämpfen. Alle Jahre wieder werden neue Begehrlichkeiten laut, den liebgewonnenem und aufwändig ertüchtigten Spielort abzureißen - vermutlich, um das begehrte Areal mitten in Aachens Innenstadt anders, profitabler, kommerzieller zu „verwerten“. Aber Gwendolen Webster und Catharina Marquet als künstlerische Kuratorinnen sowie die im Verein zusammengeschlossenen Musiker, Komponisten, Musikwissenschaftler, Musikpädagogen sowie ein treues Stammpublikum lassen sich nicht unterkriegen, damit die befreite Kultur in Aachen weiter lebt.
Dementsprechend lief es wieder mal rund bei der diesjährigen Ausgabe des In Front-Festivals. Der Opening-Abend war mit Abstand der am besten besuchte. Kein Wunder, wenn das Pablo Held Trio und die Markus Stockhausen Group so etwas wie „The best of NRW“ in Sachen hochkarätigem Gegenwartsjazz zelebrierte. Deutlich diskursiver ging es am zweiten Abend, welcher der Freiheit von Improvisation gewidmet war, zur Sache: Christian Banasik nahm sich der Fragestellung dieses Festivals wohl am direktesten an, wenn er in den Stücken für sein Ensemble auf „KI“-basierte komponierte Elemente zurück greift, die wegen ihrer Zufälligkeit dann doch wieder so was wie improvisatorische Freiräume darstellen. Aktuell boomt der Markt mit ständig neuen Anwenderprogrammen, die zu reizvollen Experimenten herausfordern. Aber – und darauf hob auch Banasiks aufschlussreicher Vortrag zum Entstehensprozess seiner Musik ab – brauche es hier immer noch den menschlichen, emotionalen, erfahrungsgeleiteten Blick aufs große Ganze. Und von dem – und weniger von Computerspielereien – war die mitreißende Kammermusik getragen, an der sich Catherine Marquet, Sopran, Regina Pastuzyk (Klarinette), Theo Paus (Klavier) sowie der Komponist selbst mit viel Emotion abarbeiteten.
Ausgehungert nach Welt im Hier und Jetzt
Um vorhandene Intelligenz in den Modus des Handelns zu überführen, braucht es manchmal radikale Entscheidungen. Eine davon traf die koreanische Performerin Viola Yip, als sich ihr in ihrem jungen Leben schon früh die Sinnfrage stellte. Warum Musik am Konservatorium studieren, um danach immer nur einen Wettbewerb nach dem nächsten zu bestehen? Warum sich immer nur abmühen, um auf irgendeiner Leiter immer höher kommen? Ausgehungert war Viola Yip snach einer viel unmittelbareren, vor allem körperlicheren Auseinandersetzung mit der Welt im Hier und jJtzt. Also schuf sie sich ein eigenes Instrumentarium - ja, wurde selbst zu ihrem eigenen Instrument. Seitdem übersetzt sie auf der Livebühne ihre eigenen Körpergesten in puren, rohen Klang.
Unter einer Art Umhang aus grün-transparenter Zellophan-Folie leisten Sensoren überall an ihrem Körper ganze Arbeit. Ihre Performance in der Klangbrücke lässt eine befreite Solo-Choreografie voller expressiver Gesten und Bewegungsdrang entstehen. Überhöht wird diese von einer radikalen Klangwelt aus Verzerrungen, Rückkopplungen, wabernden Drones. Ebenso wie mit ihrem eigenen Körper verfährt sie mit den Reglern der ganzen Effektbatterie. Das ist nicht alles nur kakophonischer Lärm. Wer in Moers schon mal die radikalen japanischen Noise-Performer von Merzbow erlebt hat, weiß, wovon die Rede ist und dies, vor allem in Asien ein ausdifferenziertes, alternatives Musikgenre bildet. Viola Yip, die heute in Berlin lebt, erwies sich danach beim Gratis-Sekt im Foyer als lebenslustige Gesprächspartnerin, für die es nichts plausibleres und natürlicheres gibt, als sich genau auf diese Weise künstlerisch auszudrücken. Der Dialog mit den emotionalen Schwingungen der Menschen im Raum ist nun einfach primär ihr Ding.
Klangbrücke als Diskursort
Regelmäßig freitags wird die Klangbrücke zum Diskursort. Dann wird sachkundig und angeregt über Musik geredet und diese auch gemeinsam angehört. Am 17. November freut sich Christopher Fox über viele Gäste, um nach gemeinsamer Hörsession über Werke der Neuen Musik zu sprechen. Am Freitag, 1. Dezember nehmen Hans-Walter Staudte und Günter Härtel ausgewählte neue Jazzaufnahmen (unter anderem von Ingrid Laubrock, Eve Risser, James Brandon Lewis und Isaiah Collier) unter die Lupe und freuen sich auf viele Meinungen aus dem Publikum.
Die nächsten Konzerte:
19.11.: Konzert zum Gedenken an die Reichspogromnacht mit dem Neue Musik Ensemble Aachen.
2.12.: Florian Herzog Quartett.
16.12. Wayne Shorter Projekt mit Gästen aus der nahen Benelux-Musikszene