Improvisatorische Vermögen
Kansi Auki 2012
TEXT: Christoph Giese | FOTO: Markku Sotamaa
Eigentlich könnte die Stimmung bei Iiro Rantala nicht besser sein. Die zweite Ausgabe seines kleinen, aber sehr feinen Piano-Jazzfestivals „Kansi Auki“ist bis auf das abschließende Family Happening mit Musik und Geschichten für die ganze Familie bei Kaffee, Saft und Waffeln beendet - und es ist bestens gelaufen. Ein jeweils voller Konzertsaal, begeisterte Zuhörer. Doch dann ist die gute Laune bei dem umtriebigen und so sympathischen Finnen plötzlich und verständlicherweise verflogen. Denn während er mit Tigran im angrenzenden Restaurant des Kapsäkki-Musiktheaters sitzt, diniert und angeregt plaudert, verschafft sich jemand Zugang zum Theater und entwendet zwei der Pedale, mit denen Tigran zuvor den elektronischen Part seines aufregenden Solo-Konzerts steuerte. Ärgerlich, enttäuschend, traurig.
Aber das Positive beim Festival überwiegt. Neben der fast familiären Atmosphäre im Theater sind es natürlich die Konzerte, die in Erinnerung bleiben. Und da eben auch Tigrans Auftritt. Obwohl „Kansi Auki“als akustisches Klavierevent von Iiro Rantala geplant ist, schickt der armenische Tastendrücker kurz vor seiner Anreise doch noch Anleitungen für elektronische Zutaten Richtung Helsinki. Und legt auch gleich mit geloopter Stimme und Beats los, die er dann mit krachenden Akkorden auf dem Konzertflügel auffüllt. Spielen kann Tigran eigentlich alles auf der schwarzweißen Tastatur, doch die früher von ihm häufig ein wenig zur Schau gestellte überbordende Virtuosität gerät nun zugunsten singbarer Melodien ein wenig in den Hintergrund. Und Tigran wagt was. Dubstep in Kombination mit Akustikpiano; rasende, wahnsinnig rhythmische Vokalausflüge, die er mit einem ganz anderen Rhythmus auf dem Klavier kontrastiert – all das oft eingebettet in armenische Folklore.
Das ist ebenso aufregend zu beobachten, wie wenn Leszek Mozdzer mit seiner linken Hand eine Chopin-Etüde spielt, während die rechte im Jazz wühlt. Auch der Pole trat solo bei „Kansi Auki“auf, brachte Bach zum vergnügten Tänzeln, verpasste John Lennons „Imagine“ mit mächtigem Donnergrollen in den tiefen Lagen eine ganz eigenwillige Stimmung und berührte mit den Stücken seines Tributalbums „Komeda“, auf dem er die Musik seines Landsmannes Krzysztof Komeda interpretiert und dabei auch in Helsinki große Gestaltungsfantasie offenbarte. Über die verfügt auch der in Hamburg lebende schwedische Pianist Martin Tingvall, der sein neu erschienenes Soloalbum „En Ny Dag“ vorstellte, einen von Klassik, skandinavischer Volksmusik und Jazz gefärbten Liederzyklus mit starken Melodien und Stimmungen von lyrisch verträumtem Wiegenlied bis fröhlich. Eine reichhaltige Palette an Klangfarben und eine schöne Gelegenheit, Tingvall auch mal ohne sein nach ihm benanntes Trio live zu erleben. Mit seinem Trio schaute dagegen der finnische Pianist Aki Rissanen vorbei und entpuppte sich als geschmackvoller Ästhet, gehaltvoller Komponist und Interpret von Musik eines Hanns Eisler oder Frederic Mompou. Rissanen spielt übrigens bei seinem Landsmann, Trompeter und ACT-Künstler Verneri Pohjola in der Band. Auch die junge Pianistin Kaisa Kulmala hatte mit dem Bassisten Jori Huhtala und dem Schlagzeuger Ville Pynssi ein Rhythmusgespann an ihrer Seite und überzeugte mit Frische, viel Spielwitz und rhythmischen Finessen in spannenden, eigenen Kompositionen.
Natürlich griff auch der Initiator von „Kansi Auki“ bei seinem eigenen Festival in die Tasten. Im erst seit diesem Jahr existierenden, großartigen Duo mit dem schwedischen Bassisten und Cellisten Lars Danielsson und einen Tag später solo. An beiden Abenden verwöhnte Rantala mit seiner ungeheueren Musikalität und seinem musikalischen Humor, den er immer mit einem Augenzwinkern auslebt. „My History Of Jazz“ heißt die neue und wunderbare CD des Finnen. Ein prima Titel auch für das, was er auf der Konzertbühne bietet – seine ganz eigene Jazzgeschichte eben. Eine Besonderheit des Festivals erfreute übrigens auch die Zuhörer in diesem Jahr. Die jeweils zwei Pianisten pro Abend im Theatersaal spielten am Schluss immer noch ein Stück gemeinsam an zwei Flügeln. Und da sah man dann noch einmal die ganze Klasse und das spontane, improvisatorische Vermögen der eingeladenen Musiker.