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Im ORBIT

Kölns Festival für aktuelles Musiktheater begeisterte

Köln, 26.04.2024
TEXT: Uwe Bräutigam | FOTO: Sophia Hegewald
Vom 12.-15. April fand an verschiedenen Spielorten in Köln zum zweiten Mal das Festival für aktuelles Musiktheater ORBIT statt. Das Publikum wurde aufgefordert, gerade in einer Zeit von Krieg, Krisen, Flucht Klimakrise und erstarkendem Faschismus, die Veranstaltungen mit allen Sinnen, des Hörens und Schauens, des Innehaltens, des sich Einlassens auf Neues, auf Unerwartetes wahrzunehmen. Gerade in unseren Zeiten ist Kultur besonders wichtig für die Menschen. Die Festivalleitung verzichtete dieses Jahr auf Uraufführungen, sondern setzte auf spannende  Produktionen der letzten Jahre, die noch nie in Köln gezeigt wurden. In vier Tagen waren acht Produktionen zu erleben, von denen einige zu verschiedenen Zeiten mehrfach aufgeführt wurden. Zusätzlich gab es eine Masterclass unter dem Motto: “Viel sinnliches Musiktheater“ und ein Symposium zu Positionen des Musiktheaters im kulturellen Wandel.
Zum Musiktheater gehörten schon immer schon mehrere Genres, Musik, Theater und manchmal auch Tanz. Im aktuellen Musiktheater kommen Videoscreens, elektronische Effekte und Lichteffekte oft noch dazu.
 
WIE VERMISCHE ICH MICH MIT DER WELT?
 
Ich habe den letzten Tag des Festivals besucht. Dort war die Produktion “A Sing Thing“ von Benjamin van Bebber und Leo Hoffmann, die in der Kölner Oper stattfand, ein gutes Beispiel für die Vielfalt und das Zusammenspiel von unterschiedlichen Genres. Zusätzlich war diese Produktion auch ein Beispiel für eine gelungene Kooperation von freier Szene und Kölner Oper.
“A Sing Thing“ ist ein Stück für nur drei Personen und einem minimalistischen Bühnenbild, aber einer großen Bandbreite an unterschiedlichen Ausdrucksformen: Pantomime, Gesang, elektronische Einspielungen, Video, Trommeln, Lichteffekte, Gebärdensprache, Luftbewegung und Erschütterungen im Zuschauerraum. Eine “Vielsinnliche“ Musiktheateraufführung, die viele Fragen an das Genre Musiktheater/Oper stellte.
Das Stück spürte nach, wie Emotionen ausgedrückt werden können. In der Oper sind es ja bekanntlich die Arien, die große Gefühle transportieren.
Ausgangspunkt war eine Arie von Puccini gesungen von Pavarotti, an die sich eine der Performer*innen erinnerte, sie früher in Hongkong gehört zu haben. Diese Arie von Pavarotti wird allerdings nicht zu Gehör gebracht. Dann stellte die Performerin einige scheinbar arglose Fragen, die sich als sehr tiefgründig herausstellten. Diese Fragen sind zwar im Kontext Musiktheater/Oper angesiedelt, überschreiten diesen aber und weisen prinzipiell in die Bereiche von Musik, Tanz und Theater. Eine Frage, die gestellt wurde war: muss man eine Arie singen?  Eine andere Frage war, was mit der Arie ausgedrückt werden solle? Gefühle? Warum singt Herr Pavarotti auf der Bühne vor Publikum und nicht allein zu Hause für sich? Ist Musik wirklich eine universelle Sprache und wie sieht so eine Sprache aus? Und wie überall bei guter Kunst sind die Fragen Anstöße zum Denken und das Stück hütet sich vor fertigen Antworten.
“A Sing Thing“ blieb nicht bei den Fragen stehen, sondern versuchte mit Performance weitere Denkanstöße zu geben. Die drei Performer*innen drücken die Arie mit Tanz, mit Gebärden- (Sprache), Mimik oder mit Trommeln aus. Dazu wurden Lichteffekte eingesetzt, der Zuschauerraum wurde Erschütterungen ausgesetzt und mit riesigen Fächern wurde rhythmisch dem Publikum Luft zu gefächert. Ein Filmausschnitt von Maria Callas wurde ohne Ton gezeigt, nur die Mimik und Gestik war zu erleben. Und nicht zuletzt wurde auch kurz gesungen, ohne Opernstimmen. „Ich bin zwar keine Sängerin, aber ich liebe schöne Melodien.“ Auf wortwörtliche Weise wurde das Publikum “vielsinnlich“ erreicht.
Hinter all diesen Ausdrucksformen stand die grundsätzliche Frage: Wie kann ich mich mit der Welt vermischen?
“A Sing Thing“ ist kurzweilige Unterhaltung, mit Tiefgang, die das Publikum zur Reflektion einlud und dabei ging es um weit mehr als um die Rolle der Arie in der Oper. Eine sehr gelungene Produktion.
 
EIN GEMEINSAMES ESSEN GEHÖRT ZUM STÜCK
 
Um Reflektion ging es auch in dem interaktiven Stück “Proviant“ der Gruppe Polar Publik, das mittags in der Alten Feuerwache stattfand.
Hier wurden die Grenzen zwischen Publikum und Mitspielern aufgehoben. Das Publikum und die Performer*innen saßen gemeinsam an einer großen Tafel und nahmen ein Essen zu sich. Danach wurden verschiedene Fragen zum Thema Mangel gestellt, die entweder mündlich oder schriftlich beantwortet wurden. Auf dem Tisch lagen Karten mit Fragen, die schriftlich beantwortet werden mussten und dann unter den Tisch fallen gelassen wurden.
Allerdings wurden sie später wieder aufgehoben und vorgelesen. Es gab auch eine Aufgabe für zwei Personen, bei der eine Person der anderen über Mangelerfahrung erzählte und die andere Person aufmerksam zuhörte und keinerlei Kommentar dazu gab. Zu Beginn haben Constantin Herzog am Bass und Oxana Omelchuk an der Elektronik Klänge produziert. Die Gespräche und die Klänge wurden gesampelt und zu einer Klangcollage verarbeitete, die dann am Ende für gefühlte fünf Minuten eingespielt wurde. Es war spannend über Mangel nachzudenken und Fragen nachzugehen wie: Ist Mangel ungerecht? Warum (nicht)? Was ist für mich das Gegenteil von Mangel? Welcher in der Vergangenheit erfahrene Mangel beeinflusst mein Leben bis heute – und wie? Aber irgendwie war dieser “Selbsterfahrungsteil“ nicht wirklich mit der Musik und dem Livesampling verbunden. Die Grundidee war spannend, aber die einzelnen Teile des Stückes, Essen, Auseinandersetzung mit Mangel und Livesampling müssen noch besser aufeinander abgestimmt werden.
 
YOU SHOULD TRY ESSENTIAL OILS
 
In der Alten Feuerwache fand auch die Nachmittagsveranstaltung mit dem Titel “You Should Try Essential Oils“ statt. Ein Konzert, das gleichzeitig auch die Abschlussprüfung des Masterstudienganges “Neue Musik Interpretation“ von Carlotta Ramos, Kontrabass und Konzeption, bei Prof. Susanne Blumenthal war. Zwei Kompositionen wurden vom Collab Cologne gespielt. Die erste Komposition von Carlie Schoonees mit dem Titel “I like Your Personality. Thanks It`s A Disorder“ Ausgehend von einer späten Autismus Diagnose stellte die Komponistin ihre Verwirrung und Zerrissenheit dar. Auf der einen Seite ihre intimsten Gedanken und als Gegensatz eine grausame Realität. Die Collab Musiker*innen drückten diese Gedanken einzeln in kurze Sequenzen auf ihren Instrumenten  aus, um sie anschließend sprechend oder schreiend zu verbalisieren. Die Musiker*innen stehen im Bühnendunkel und nur die jeweils spielende Person wird angestrahlt. Es ist eine Form von Musiktheater in absolut reduzierter Form: Musik, gesprochenes Wort und Licht. Dass zweite Werk “Talking About My Generation“ von Pedro Lima, setzte sich mit einer egoistischen profitorientierten Gesellschaft auseinander und stellt dabei die Frage welche Rolle die Kunst, insbesondere die Musik bei sozialer Veränderung spiele.
Diese drei Produktionen gaben einen Einblick in das ORBIT Festival. Es war ein Festival, das alte Seh-, Hör- und Denkmuster aufgebrochen hat und viele neue Anstöße gab. Das Festival hatte auch einen Werkstatt Charakter, es war ein Labor in dem neue Wege, neue Verfahren ausprobiert wurden. Wir brauchen dringend solche innovativen Festivals der freien Szene, um
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