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Im Dienst der Aussage

Impressionen vom Festival BROEtz 2025

Wuppertal, 17.10.2025
TEXT: Stefan Pieper | FOTO: Stefan Pieper

Auf die Frage, was sich in seiner Wahrnehmung verändert und entwickelt habe in der frei improvisierten Musik, zieht Wolfgang Schmidtke, künstlerischer Leiter des Festivals BROEtz, ein klares Fazit: So könne bei der aktuell tonangebenden Generation frei improvisierender Musikerinnen und Musiker ein viel ausgeprägteres Formbewusstsein beobachten. Auf jeden Fall gehe es um Verantwortung für das eigene Instrument und noch mehr um Verantwortung für die gemeinsame Interaktion. Dieser stellten sich am Samstagabend des 11. Oktober 19 Musikerinnen und Musiker in der Wuppertaler INSEL mit ganzer Leidenschaft und Konsequenz. Das kuratorische Prinzip ist radikal: Spontan zusammengesetzt sind alle Besetzungen beim Festival BROEtz 2025. 19 Musikerinnen und Musiker wurden eingeladen, jede und jeder für sich, keinesfalls komplette Besetzungen oder Bands. Genau dieser spontane Kollektiv-Prozess macht den Reiz der Begegnungen aus – niemand weiß vorher, mit wem und wie oft gespielt wird.

Eine dichte, kontrastreiche Dramaturgie

Die vier Konzerte des von mir besuchten zweiten Festivalabends erzeugten eine dichte, kontrastreiche Dramaturgie, die den Abend wie im Flug vergehen ließ: Wuchtig und energetisch geht es beim Eröffnungskonzert des Abends zur Sache. Farida Amadou am E-Bass, Christian Lillinger am Schlagzeug, Bart Maris an Trompete und Flügelhorn, Kazuhisa Uchihashi an der Gitarre und Els Vandeweyer am Vibrafon sind auf Anhieb ganz tief drin. Amadous Bass legt massive Fundamente, während Uchihashis Gitarre mit präparierten Texturen und Feedback antwortet. Maris' Blechbläserattacken durchschneiden diese tektonischen Klangschichtungen mit messerscharfen Linien. Vandeweyers Vibrafon funkelt dazwischen wie Lichtreflexe auf zerborstenem Glas.

Lillinger, der an diesem Abend noch zweimal auftreten wird, agiert in seiner typischen, vielschichtigen Art. Als er später einen Drumstick ganz bewusst durchbricht – nur weil eben genau dieses Knack-Geräusch die gewünschte Klang-Aussage transportiert – erweist sich auch das als künstlerische Entscheidung für das Spezifische, das nie beliebig ist. Denn genau das ist die hohe Kunst beim freien Spiel: das Was und das Wie in den Dienst einer starken Aussage zu stellen.

Nach dem satten Breitwandformat ging es kammermusikalisch weiter: Gunda Gottschalk an der Violine und Kaja Draksler am Klavier richten in verfeinerten Assoziationsfeldern ihren subjektiven Kompass aus. Drakslers Klavierspiel oszilliert zwischen perkussiven Clustern und melodischer Verspieltheit, während Gottschalks Violine starke Reibungen auf den Seiten erzeugt, Intervallsprünge in höchste Lagen wagt, aber auch Phasen lyrischer Zartheit zulässt.

Die beiden Musikerinnen suchen einander – ein feines, fast zögerliches Vordringen in imaginäre Klangbiotope, in scheinbar unentdeckte Welten. Es geht darum, Klänge zuzulassen und zu entdecken, aber niemals zu domestizieren. Genau darum geht es in freier Musik.

Aktives Zuhören als Prinzip

Das dritte Set vereint fünf Protagonist*innen: Christian Lillinger kehrt ans Schlagzeug zurück, dazu Jan Roder am Kontrabass, Kathrin Pechlof an der Harfe, Kaja Draksler nun am Klavier sowie Almut Kühne, die die Interaktion mit ihrer feinen Stimme bereichert. Auch hier entfaltet sich höchste Kunst des aktiven Zuhörens. Draksler und Roder übernehmen phasenweise die Führung, dann wieder treten sie zurück. Kühne beherrscht eine große Verfeinerungskunst mit ihrer Stimme – immer mit viel expressiver Aussage, aber auch mit feinsinniger Eleganz. Faszinierend sind die Momente, in denen ihre vokalen Gesten mit filigranen Fingerpicking-Klängen in höchsten Tonlagen auf Kathrin Pechlofs Harfe zusammenkommen.

Roders Bassfiguren voller tiefer Ruhe bilden den Grund, auf dem diese Interaktionen schweben können. Lillinger erzeugt feine Wirbel mit dem Besen, sein Spiel wirkt auch hier wieder fast wie eine Choreografie. Das ist die aktuelle Generation: Musiker*innen, für die chorare – sich einer Sache widmen und sie pflegen – bedeutet, sie vor allem in die Gegenwart zu überführen.

Das vierte Set wirkt wie eine anders akzentuierte Fortsetzung der vorigen Konstellation, nun aber noch sphärischer und wieder kammermusikalischer ausgerichtet. Jan Roder, Almut Kühne, Gunda Gottschalk und Kathrin Pechlof bilden ein Quartett. Gottschalks Streicherklang erzeugt starke Reibungen auf den Seiten, die auch Pechlof auf der Harfe experimentierfreudig realisiert. Zusammen mit Kühnes Stimme entfaltet sich eine Magie der Kontraste: Phasen melodischer Verspieltheit wechseln sich ab mit tiefsinnig abstrakten Klangbiotopen. An den vielen klangsinnlichen Überraschungen, die daraus hervorgehen, kann man sich nicht satthören.

Diese gemeinsamen Prozesse bieten in jedem Moment die Chance, in scheinbar unentdeckte Klangzustände einzutauchen – wenn Musikerinnen und Musiker den Mut haben, diese zuzulassen, weil sie Klänge und Töne nicht domestizieren wollen. Genau darum geht es, und erst dadurch werden Klangteppiche ins Schweben versetzt. Den vier Besetzungen dieses Abends gelang das vorbildlich.

Erbe als Aufbruch

BROEtz würdigt Peter Brötzmann nicht durch nostalgische Rückschau, sondern durch permanente Grenzverschiebung. 2021 hatte der Saxophonist und Pionier der freien Improvisation zu seinem 80. Geburtstag selbst ein neues Festivalformat kreiert und kuratiert. Nach über sechs Jahrzehnten in der internationalen Jazzszene hinterließ er in Wuppertal tiefgreifende Spuren.

Als Brötzmann 2023 mit der Planung der zweiten Ausgabe begann und im Juni desselben Jahres verstarb, stand für Wolfgang Schmidtke und Torsten Krug, künstlerischen Leiter der INSEL, fest: jetzt erst recht. Das Festival, nun in der dritten Ausgabe im Biennale-Rhythmus begangen, übernimmt Brötzmanns Methodik, konserviert aber nicht seine Ästhetik. Schmidtke betont, dass es keine zweite Ikone dieser Größenordnung geben könne – aber hinter dem Namen stehe eine bestimmte Geisteshaltung, eine musikalische Idee, die weiterwirkt.

Das Festival ehrt nicht den persönlichen Stil eines Einzelnen, sondern eine Haltung zur Musik, die Wuppertal eingeschrieben ist. Dieser Samstagabend bewies die ungebrochene Aktualität dieser Vision.



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