Ikonische Verrücktheit
David Helbock „Austrian Syndicate“ befreit das Erbe von Joe Zawinul und Weather Report
TEXT: Stefan Pieper | FOTO: Stefan Pieper
„Wir denken nicht groß darüber nach, sondern spielen einfach“ - so einfach, aber treffend formuliert Herbert Pirker, Schlagzeuger von David Helbock`s Austrian Syndicate die Formel für jene aufsehenerregende Band, die sich auf die Fersen der ikonischen Gruppe Weather Report heftet, um was Neues daraus zu kreieren. Von jeder devoten Legendenverehrung „befreit“, sorgte ein Auftritt in Marls Scharoun-Aula im Rahmen der FineArtJazz-Reihe für stehende Ovationen.
Die außergewöhnliche Akustik im Konzertsaal von Hans Scharoun gereicht jedem Weltklasse-Ensemble zur Ehre. Wer sich hier gründlich mit den Gegebenheiten dieses Saals auseinandersetzt, kann ein einzigartiges Musikerlebnis hervorbringen. Dieses Kalkül ging im Rahmen der FineArtJazz-Konzertreihe auf: Helbocks Austrian Syndicate füllte mit gleich zwei Schlagwerkern, zwei Tasteninstrumenten plus E-Bass den Saal mit leuchtenden Farben. Der Detailreichtum im dichten Spiel der Band war dabei in echt „studiomäßiger“ Präsenz erfahrbar.
Kühle Eleganz, unverkennbare Harmonien
Die Band schwenkt mit ihrer treibenden Rhythmik sofort auf die Überholspur. David Helbock (Keyboards), Peter Madsen (Piano), Raphael Preuschl (Bass), Claudio Spieler, (Percussion) sowie Schlagzeuger Herbert Pirker könnten auf dem immerhin 27. Gig ihrer aktuellen Release-Tour in Marl nicht ausgeschlafener wirken. Gerade bei den ruhigeren Nummern geht diese typische, Weather Report Aura tief unter die Haut: Bassist Raphael Preuschl improvisiert empfindsame, oft polyphonische Linien. Aus diesem Strom mäandert diese typische Klangwelt voll kühler Eleganz und mit diesen charakteristischen Harmonieverläufen. Klar wird über die gesamten zwei Sets in der Scharoun-Aula: Das David Helbock Syndicate erkundet im Jahr 2023 mit neuen Ideen und heutigen Instrumenten diese zeitlose Schönheit. Helbock spielt seine Synthesizer als das, was sie sind - und eben nicht als irgendein Simulationswerkzeug oder harmonisches Füllmittel. Dafür eben expressiv und virtuos, was im Scharoun-Saal eine reiche Palette an sphärischen, psychedelischen, feinsinnigen und manchmal verführerischen Sounds freisetzt. Das ist gelebte Neugier, wie sie aus der Pionierzeit dieser Instrumente kommt, gepaart mit den Möglichkeiten von heute. Besonders faszinierend ist eines von seinen Keyboard-Instrumenten, welches auf jede feinste Berührung mit ausgesprochen subtil modulierenden Klangnuancen „antwortet“.
In diesem Haus sind ausgelassene Parties erlaubt
Sensibilität und Powerplay sind dabei kein Widerspruch. Schlagzeuger Herbert Pirker erdet sein feingliedrig ausdifferenziertes Impuls-Feuerwerk auf der Snare durch mächtig pumpende Bassdrum-Schläge. Claudio Spieler gibt auf Djembe, Congas und Cajun mächtig Paroli. Auch die Tastensection ist gleichberechtigt „mal zwei“ genommen: Neben Helbock soliert Peter Madsen auf dem Flügel mit sonniger Beseeltheit, was auch für so manches Tasten Tete-a-Tete zwischen Klavier und Synthy gut ist. Übrigens handelt es sich bei Peter Madsen um den ehemaligen Klavierlehrer von David Helbock. Vom Bassisten Raphael Preuschl hätte man sich in diesem treibenden Kontinuum manchmal etwas mehr extrovertierte Führungsrolle gewünscht– aber das ist jetzt auf sehr hohem Niveau kritisiert und wir wollen jetzt keine Vergleiche mit dem knackig-funkigen Spiel des Weather-Report-Bassisten Jaco Pastorius überstrapazieren. Denn den lässt Raphael Preuschl immer dann locker hinter sich, wenn sein Spiel in den ruhigen Stücken atmosphärisch atmet, nicht selten durch Zuhilfenahme futuristischer Verfremdungseffekte aus der Elektronik-Trickkiste.
Wie auch immer: Das zeitlose Erbe Weather Reports wirkt beim Austrian Syndicate wie ein großes Haus - und diese fünf erfahrenen Gegenwartsmusiker aus Österreich geben alles, um dieses erhabene Gebäude nach eigenen, auch verrückten Vorlieben auszugestalten. Dazu gehört auch, dass man darin mal eine ausgelassene Party feiert, die bei einer furiosen, letzten Latin-Zugabe nochmal auf den Siedepunkt zusteuerte. Und noch etwas: Nach diesem Konzert wird wohl niemand mehr die Band Weather Report auf ihren zwar genialen, aber hoffnungslos totgespielten Über-Hit „Birdland“ reduzieren.