Ideen-Fänger
Sinfonia de Carnaval auf der Wasserburg Lüttinghof
TEXT: Stefan Pieper | FOTO: Stefan Pieper
Was haben Cello und Akkordeon gemeinsam: Vor allem diesen riesigen Tonumfang, ebenso die schier grenzenlose Vielfalt an klanglichen Ausdrucksmöglichkeiten. Was passiert, wenn diese Instrumente sich zusammen ergänzen? Ja, dann können die berühmten musikalischen Berge versetzt werden. Vorausgesetzt, man kann es - und dieses österreichische Duo, bestehend aus Anna Lang und Alois Eberl, konnte dies auf der Wasserburg-Lüttinghof. Und noch viel mehr!
Man spürt, die beiden sind ausgehungert nach Spielen, ebenso wie ihr Publikum, das sich auf Anhieb auf die einnehmende Präsenz dieses Duos im fürstlichen Burg-Ambiente einlässt. Auch wenn dies noch lange nicht wieder sämtliche Ränge füllt, wie Bernd Zimmermann in seiner Begrüßungsansprache bemerkte: „Im Jahr 2019 hatten wir eine Auslastung von 95%, mittlerweile sind wir gerade mal wieder bei der Hälfte.“
Die, die sich noch immer nicht wieder aus dem Haus trauen, verpassten auf jeden Fall eine Menge: Direkt zu Anfang bieten Anna Lang und Alois Eberl alles auf, was die hier vorhandene Bündelung von Spieltechnik und Kreativität hergibt. Ein lyrisches Thema stimuliert das Kopfkino. Messerscharf präzise modelliert Cellistin Anna Lang einen pulsierenden Groove. Alois Eberl pumpt derweil die Luftsäule durchs Instrument, auf dass kraftvoll akzentuierte Riffs entstehen. Dann kommt seine Stimme hinzu, er betreibt Beatboxing, bevor sich der Gestus ändert: Jetzt wirkt die Musik eher asiatisch an, ist aber von afrikanischen Reiseerlebnissen inspiriert, wie Eberl später anmerken soll. Mehr musikalische Dichte geht wohl kaum – aber bei allen Extravaganzen bleibt die Interaktion luftig und verspielt. Fast so, als würden diese beiden einfach alle Ideen, die im Kosmos herum schwirren, mit beiden Händen mutig einfangen und damit vorbehaltlos herum spielen. Das nächste Stücke zieht andere Register, bei denen es mehr um Trance geht. Mollakkorde lassen Arpeggien entstehen - so repetitiv, dass man an den Minimalismus eines Philip Glass erinnert sein mag.
Das Cello – in Wahrheit ein Rockinstrument?
Aber wir sind in einem Jazzkonzert – und zwar in was für einem! Das wird fett unterstrichen, sobald Eberl zur Posaune greift und mit sich ungestüm und höchst beweglich die Seele aus dem Leib soliert. Anna Lang macht derweil keinen Hehl daraus, dass das Cello wohl in Wahrheit in der Rockmusik erfunden worden sein mag. Was für wunderbare, fette Riffs entstehen, wenn man nur im Quintabstand unisono spielt - und die tiefe C-Saite lässt fast die Schlossmauern wackeln, wenn sie erstmal durch den Verzerrer geschickt wird. Aber die beiden agieren auch sehr melodiös: Sie fangen nicht nur musikalische Ideen ein, sondern „catchen“ mit viel musikalischem Charme auch ihr Publikum. Als Zugabe zieht Anna Lang noch mal alle spieltechnischen Register, wenn sie in hoher Daumenlage eine euphorische Improvisatio in Jubelgesang versetzt. Und als sie schließlich Tango spielen, ist auch dies kein Gimmick und noch weniger eine „Aneignung“ – sondern auch hier sind beide ganz tief drin.
Kulinarischer Hochgenuss im mittelalterlichen Gewölbe
Dieser musikalischen Sternstunde ging kulinarischer Hochgenuss voraus. Seit dieser Spielzeit haben die Veranstalter eine neue Rubrik in ihr Programm aufgenommen. Sie nennen sie "Experimente" und meinen damit neue Konzertformate. So wurde dieses aussergewöhnliche Konzert mit einem 4-Gänge Dinner eröffnet, dass von den Burgherren im mittelalterlichen Ambiente des Gewölbekellers präsentiert wurde. Eine perfekt organisierter Abend für alle Sinne.