"Ich will eine Geschichte erzählen!"
Kadri Voorand und Mikehl Mälgand in Gelsenkirchen und Billerbeck
TEXT: Stefan Pieper | FOTO: Stefan Pieper
Die estnische Sängerin/Pianistin Kadri Voorand war im letzten Jahr eine überraschende Neuentdeckung beim Alto Adige Festival, jener vielbeachteten Talentbörse für neue spannende Jazzentwicklungen. Zusammen mit ihrem Duopartner, dem Bassisten Mikhel Mälgand demonstriert sie, dass eine charmante, ja, manchmal fast albern verspielte Bühnenpräsenz und vor Ideen sprühender musikalischer Tiefgang kein Widerspruch sind.
Davon überzeugte sich ihr Publikum gleich auf zwei Exklusivkonzerten hintereinander in NRW - auf dem Gelsenkirchener Nordsternturm und kurz danach im romantisch-ländlichen Ambiente in der Kolvenburg im westfälischen Billerbeck.
Eines dürfte gewiss sein: Ein Auftritt von Kadri Voorand ist auf jeden Fall immer ein Unikat. Sphärische Violintöne am Anfang deuten auf meditative Gefilde hin – aber sobald sie beherzt in die Klaviertasten greift, tobt das pralle Leben. Dieses strömt aus den melodisch anregenden, von Jazzidiomatik und Bluesfeeling gesättigten Songs – aber auch aus verführerischen Balladen und Anleihen bei der estländischen Volksmusik, gleichwohl aus freigeistig-akrobatischen Improvisationen mit Stimme, Elektronik, Autotune-Effekten und immer wieder Storys aus ihrem eigenen Leben dazu!
Sie will nach eigenem Bekunden vor allem Geschichten erzählen. Klavier spielt sie nicht etwa so, wie eine Sängerin sich selbst am Klavier „begleitet“, sondern mit der resoluten Wucht einer gestandenen Konzertpianistin. Auch ihre Stimme kann mehr als nur heiteres Geplauder. Viel mehr! Ihr Gesang durchmisst gesanglich viele Oktaven, lotet Tiefen aus, strotzt vor Bluesfeeling. Dann hält sie wieder inne, verweilt, erzählt alles mögliche. Von ihrer Lieblingsschokolade, die einst, als sich ihre Heimat noch hinter dem eisernen Vorhang befand und nur in ganz kleinen Stückchen verfügbar war – oder vom profanen, überhaupt nicht glamourösen Alltag einer Profimusikerin, die morgens einen Schwall von emails abarbeiten muss. Der Blues hat auch immer etwas mit Wahrhaftigkeit zu tun und Liebe ganz viel mit Trunkenheit, dafüber redet sie, dass man ihr dies abnimmt - und sie hat auch gleich einen hinreißenden Song dazu geschrieben! Auch beim Konzert auf der Kolvenburg läuft sie manchmal Gefahr, sich manchmalim Zuviel zu verzetteln und bei so vielen sprühenden Ideen kaum noch in eine klare Richtung laufen zu können. Für den Bassisten ist dies eine echte Herausforderung, denn der muss auf alle Spontanexkurse seiner impulsiven musikalischen Partnerin in jedem Moment hellwach reagieren...
Aktuelles Album
Kadri Voorand: „Armupurjus“