"Ich lasse mich selbst gerne überraschen!"
Simon Nabatov beglückte in der Kunsthalle
TEXT: Stefan Pieper | FOTO: Stefan Pieper
Nichts gegen eine perfekt funktionierende Band-Chemie oder Kollektivimprovisation. Aber bei richtig guten Pianistinnen und Pianisten stellt sich bei mir oft der Wunsch ein, solche doch mal bei einem Solo-Recital alleine für sich erleben. Der Kölner Pianist Simon Nabatov bereitete seinem Publikum in der Recklinghäuser Kunsthalle nun genau dieses Geschenk.
Draußen schneit es gerade etwas und die Magie der blauen Stunde zaubert ein eigenwilliges Zwielicht in den Raum. Die Sitzreihen sind gut gefüllt, es wurden sogar noch Stühle aufgestellt. Die Jazzreihe in der Recklinghäuser Kunsthalle, auch „Sparda Lounge“ genannt und kenntnisreich von Ingo Marmulla kuratiert, hat sich seit ihrer Gründung als verlässlichen Selbstläufer bewährt. Simon Nabatov kann davon ausgehen, hier ein offenes Ohr zu finden. Und dies braucht es auch, um alles mitzubekommen. Oder andersherum: Hier werden zum Wesentlichen die Ohren geöffnet. Simon Nabatovs phänomenales, sich lustvoll auf alle Ecken und Kanten der Musik fokussierendes Spiel erlaubt keine Gleichgültigkeit.
Es geht ums Aufbegehren
Wenn er sich Bill Evans, Thelonious Monk oder Herbie Nichols vornimmt, dann erteilt dies jeder devoten Ikonisierung eine forsche und ebenso forschende Absage. Wer gepflegt aufpolierten Pianojazz erwartet hat, liegt hier falsch. Simon Nabatov geht es viel mehr um das aufbegehrende Moment, darum, die Idee des Ursprungs wieder freizulegen, den zeitlosen musikalischen Fortschritt in den Stücken zu einer aufregenden Erfahrung in der Jetztzeit zu machen. Seine rebellische Neugier geht in diesem Spiel einher mit tiefer, reflektierter Empfindsamkeit. Denn die strahlt auf, wenn er subtil und feinfühlig den Gedankengängen und Empfindungsebenen in der Musik nachspürt. Monk ist der große Eckpfeiler im Programm des Abends. Herbie Nichols ein anderer Favorit, dem Nabatov zu Leibe rückt. Einen mitreißenden Flow erzeugt, wenn er sich in brasilianischer Stilsitik ergeht. Bei seinen Eigenkompositionen klingt er eine Spur verinnerlichter.Die Intensität auf maximalem Level bleibt.
"Ich lasse mich selbst gerne überraschen"
Aus allem erwachsen kräftige, manchmal grelle Farben, als wollten mit diesen Klangmassen in breiten Pinselstrichen die nüchternen Betonwände im Kunsthallen-Keller dekoriert werden. Dass das Improvisieren viel mit Verwandeln zu tun hat, dafür steht, was Nababtov selbst in der Pause zu seiner inneren Haltung während des Spielenes sagt: „Ich freue mich immer, wenn mich selbst etwas überrascht, wenn ich spiele.“