I caraviaggianti
Rita Marcotulli Septett im Grillo Theater
TEXT: Heinrich Brinkmöller-Becker | FOTO: Heinrich Brinkmöller-Becker
Das letzte Konzert der Reihe ‚Jazz in Essen‘ vor Silvester ist traditionell genreübergreifend angelegt, in der Vergangenheit etwa mit Jazz und Literatur und Theater. In diesem Jahr hat die Initiative mit ihrem Organisator Berthold Klostermann die Bildende Kunst als Konzertrahmen gewählt. Der italienische Maler des Frühbarock Caravaggio hat mit seinen bildgewaltigen und -dramatischen Meisterwerken wie „Medusa“, „Judith und Holofernes“, „Die Enthauptung Johannes des Täufers“ oder „David mit dem Haupt von Goliath“ weit über den engen Kunstbereich ikonische Bedeutung. Genau mit diesen Bildern arbeitet das Konzert „Caraviaggianti“ mit dem Septett der römischen Jazzpianistin Rita Marcotulli als Reisende in Sachen Caravaggio.
Nun, was verbindet Caravaggio mit Jazz? Laut der Bandleaderin die Freiheit, das Brechen mit Gewohnheiten und Konventionen, die Freiheit von Vorurteilen. Gespannt ist man, ob das Konzert diesem Anspruch gerecht wird, ob die Verbindung von Musik und Bildwelten gelingt. Als zusätzliche ästhetische Ebene kommen noch Texte von Stefano Benni hinzu, die auf italienisch rezitiert oder gesungen werden, die in deutscher Übersetzung dem Publikum vorliegen.
Eindrucksvolle BilderwelteN, aber ein Zuviel an Animation
Die extrem detailgenaue realistische Kunst Caravaggios, ihre eindrucksvolle Dramatik und den raffinierten Umgang mit dem mysteriösen Licht in großen Projektionen zu präsentieren, ist immer ein Genuss. Die Mediaperformance im Essener Theater setzt genau auf diesen Moment der Überwältigung: Von eindringlichem Cello-Spiel (Marco Decimo) begleitet, startet die Projektion mit Bildsegmenten, die animiert den Blick lenken auf Details des „Früchtekorbs“ Caravaggios, um allmählich in das Gesamtbild überzuleiten. Dazu setzt die Musik des Septetts ein, der Sprecher meditiert über „Die Dunkelheit“. Diesem Muster folgt die Dramaturgie des gesamten Abends. Die Bilder fokussieren Details aus den „Klassikern“, die animiert das Gesamtbild re-dramatisieren, indem die Figuren und Gegenstände in Beziehung gesetzt werden. Der Suggestion der Bildwelten kann man sich dabei kaum entziehen. Was allerdings erheblich den Genuss trübt, ist ein Zuviel an Animation, die die Medienmacher leider allzu wörtlich nehmen: Die Figuren der Gemälde werden mit Hilfe von Tweening, Morphing, Wrapping aus der Trickkiste der Bildbearbeitung in Bewegung gebracht, Köpfe bewegen sich leicht, eine Hand streicht über die Saiten der Laute, Augenpaare zwinkern uns zu. Was in Werbetrailern als effekthascherischer Gag vielleicht ankommt, ist nicht unbedingt in einem seriösen Umgang mit Kunst angemessen. Schade.
Die Musik der Band zu den Bildern ist immer dann am eindringlichsten, wenn sie sich zurücknimmt: etwa wenn das Piano im Hallraum einsetzt oder Bass (Michel Benita) und Cello oder Piano und Koto (Mieko Miyazaki) in einen nächsten Bilderreigen einsteigen. Das annoncierte „Brechen von Gewohnheiten…“ ist nicht so ganz erkennbar, die Musik bleibt eher auf der Ebene von solide gespieltem konventionellen Jazz. Solistisch herausragend ist Tore Brunborg am Tenorsaxophon, den Rita Marcotulli bei der Vorstellung ihrer Musiker zu erwähnen zunächst sträflicherweise vergisst. Der Gesang (Israel Varela) touchiert stellenweise die Grenze zum Allzu-Lieblichen. Ein – vielleicht nicht ganz überraschender – Höhepunkt der musikalisch-visuellen Reise ist die Sequenz mit „Medusa“: Schrecken, Schönheit und Gewalt im Bild erfahren durch die Animation und durch die Musik, vor allem durch die expressiven Schreie von Mieko Miyazaki eine berührende Dimension, der Text dazu hat bei der suggestiven Wirkung von Bild und Musik keine Chance, wahrgenommen zu werden.
Musik in Bildern - Musik aus den Bildern
Interessant bei dem Konzept von Marcotulli ist, bei der Bildauswahl und der Wahl der Instrumente auf die vielen Bezüge von Caravaggios Werk auf die Musik zu verweisen. So werden Laute und Violine bei „Der Lautenspieler“ oder in der Zugabe bei „Die Musiker“ sehr stark im wörtlichen Sinne ins Bild gerückt, ebenso das Notenblatt von „Der Lautenspieler“, das laut Rita Marcotulli als Inspirationsquelle zu ihrer Komposition diente. Die Instrumentierung mit Cello, Kontrabass und Koto, der spezifische Saitenklang im Ensemble dürften als akustische Referenz und auch Reverenz gewertet werden.
Der Abend mit „Caraviaggianti“ zeigt auf jeden Fall, dass die Verbindung von Jazz und visueller Kunst ein für Musiker und Publikum inspirierendes Format ist, das die Ästhetik beider Kunstformen und ihre Synthese befruchten kann.
Rita Marcotulli (Ltg., Klavier)
Mieko Miyazaki (Koto, Gesang)
Israel Varela (Perkussion, Gesang)
Tore Brunborg (Tenorsaxofon)
Marco Decimo (Cello)
Michel Benita (Bass)
Michele Rabbia (Perkussion, Electronics)
Eva Bruno (Lichtdesign), Massimo Aluzzi (Sound)