Hippe Musik für ein junges Publikum
NUEJAZZ 2022
TEXT: Christoph Giese | FOTO: Leon Greiner
NUEJAZZ - unter diesem Titel präsentiert Nürnbergs großes Jazzfestival junge, zeitgenössische, kreative und grenzgängerische Projekte. Im nächsten Jahr feiert das Festival seinen zehnten Geburtstag.
Mathias Eick sieht glücklich aus. Das Publikum bejubelt ihn und seine gefühlvolle, hymnisch verträumte, aber rhythmisch auch mal zupackende Musik. Seine beseelten Trompetenklänge kommen bestens an. Der Norweger, er hat auch persönlich einen Bezug zum Süden Deutschlands. Eine seiner Großmütter lebte in Ravensburg. Und so spielt er beim NUEJAZZ-Festival auch aus seinem Album Ravensburg. Nach so viel Emotionalität hätte es das Julian Lage Trio im direkten Anschluss vielleicht schwer haben können, den ausverkauften großen Saal des Festival-Hauptspielortes, der Kulturwerkstatt Auf AEG im Westen Nürnbergs, noch einmal so in Stimmung zu bringen. Aber dem US-Gitarristen und seinen beiden starken Partnern Jorge Roeder am Bass und Eric Doob am Schlagzeug gelingt es im Handumdrehen das Publikum weiterhin zu einem dauerhaften Lächeln zu bringen. Ohne Kraftmeiereien und dicke Klangwolken kommt Julian Lage dabei charismatisch rüber, verzückt mit seinen Klangbildern und Improvisationen, die trotz aller Reminiszenzen an die Musikgeschichte und Musikstile seines Landes doch immer nach ihm selbst klingen.
Unterhaltsam und dancefloor-tauglich
Das NUEJAZZ-Festival setzt auch auf hier noch unbekannte Namen. Oder schon mal vom Balimaya Project oder dem Neue Grafik Ensemble gehört? Beide Bands sind in London beheimatet und bieten Konzerte für ein neugieriges Publikum. Beim zehnköpfigen, von gleich mehreren Perkussionisten angetriebenen Balimaya Project basiert der groovende Afro-Jazz auf der traditionellen Mande-Musik Westafrikas. Saxofon und Trompete tupfen jazzige Noten, die Kora erinnert an die Wurzeln. Bandleader Yahael Camara Onono, Londoner Perkussionist mit westafrikanischen Wurzeln, kreiert mit seiner Truppe, die in Großbritannien lebenden Instrumentalisten mit afrikanischen Wurzeln eine musikalische Heimat mit Verbindung zu ihren Roots bietet, Unterhaltsames mit Dancefloor-Tauglichkeit. Neue Grafik nennt sich der in London lebende, afro-französische Keyboarder, House-DJ und Produzent Fred N´Thepe, der mit seinem nach ihm benannten Ensemble, angeschoben von treibenden Broken Beats vom Schlagzeug, einen funkigen, energiegeladenen NuJazz spielt, der das Genre sicher nicht neu erfindet, aber live in Nürnberg doch viel Spaß macht.
Dieser Mix verführt und fehlt seine Wirkung nicht
Auch das vor sechs Jahren von der britischen Altsaxofonistin Cassie Kinoshi gegründete Ensemble SEED ist zehnköpfig. Blue Note-Sounds treffen auf Soul, Afro und treibende Grooves. Die Bandleaderin hat die Musik ausgeklügelt, manchmal fast klinisch unterkühlt arrangiert und überlässt ihren Musikern mehr das Feld für Soloausflüge als dass sie selbst Glanzpunkte setzen muss. Songs mit politischen Botschaften zu präsentieren, auch das ist der knapp 30-jährigen Kinoshi wichtig. So klingt manches wütend an diesem Abend, auch durch die Wucht der sechs Bläser in der Band. Und bleibt dabei doch immer in der Spur. Sängerin und Musikerin Melanie Charles ist dagegen eine echte Rampensau. Wie die US-Amerikanerin mit haitianischen Wurzeln Originale, etwa einer Dinah Washington oder Abbey Lincoln, aufgreift, mit deren Samples spielt und sie dann in die Neuzeit überführt und so ganz anders interpretiert mit ihrer Riesenstimme und Coolness, angetrieben von Drummer und Keyboarder, das ist hip. Dieser Mix aus Jazz, Soul und ein wenig Karibischem verführt und verfehlt seine Wirkung nicht beim erfreulich jungen Publikum im Z-Bau, dem zweiten und größten Spielort des Festivals.
London-Schwerpunkt
NUEJAZZ machte richtig Spaß, auch mit seinem London-Schwerpunkt im Programm. Und mit Entdeckungen, die junge Leute ansprachen und diese in großer Zahl anlockten, vor allem an den letzten beiden Festivaltagen. Und dabei war der geplante Topact Yussef Dayes nicht einmal da. Der angesagte britische Drummer musste kurzfristig aus gesundheitlichen Gründen seinen heiß erwarteten Auftritt absagen. Die beiden Festivalmacher Frank Wuppinger und Marco Kühnl, beide selbst professionelle Jazzmusiker, haben ein spannendes Festival entwickelt, das mit einigen Gratiskonzerten und einem Nachmittag für Kinder zudem neue Interessierte zum Jazz lockt. Im kommenden Jahr feiert NUEJAZZ übrigens seinen 10. Geburtstag. Und darf sicher schon jetzt voller Zuversicht in die Zukunft schauen.