Heimsuchung der etwas anderen Art
Hermia-Darrifourcq-Ceccaldi gleich zweimal in NRW
TEXT: Stefan Pieper | FOTO: Stefan Pieper
Bands aus dem frankophonen Raum bleiben vielfach unter sich und werden hierzulande meists nur punktuell entdeckbar gemacht. Umso wertvoller, wenn eine Band wie das Trio Hermia-Darrifourcq-Ceccaldi in NRW gleich zweimal seine ungezähmte Improvisationskunst präsentierte. Tinka Steinhoff, die sich mit ihrem Booking auf interessante europäische Kulturimporte spezialisiert hat, fand gleich zwei „Abnehmer“ für das aufregende belgisch-französische Trio: Christine Sörries, die im Münsterland eine neue Sommer-Konzertreihe und das Münsterland-Festival kurariert, ebenso den Jazzklub Krefeld, ohnehin eine der prominentesten Institution für den Gegenwartsjazz ohne Limitierungen.
Solche Klänge wie von dieser Band dürften noch nie den ca 1000 Jahre alten Rittersaal auf der Burg Vischering und auch nicht die samstagabendliche Lohstraße in Krefeld beschallt haben! Manuel Hermia (Saxofon), Sylvain Darrifour (Schlagzeug) und Valentin Ceccaldi (Cello) treten an beiden Orten mit dem Anspruch an, musikalisch keinen Stein auf dem anderen zu lassen. Zumindest, wenn man konventionelle Maßstäbe von Musik zu Grunde legt. Aber das Publikum in Lüdingunghausen und und in Krefeld möchte so etwas ja gerade nicht, sondern will sich auf neue Musikerfahrungen einlassen.Wer kam, wurde nicht enttäuscht. Diese drei Musiker lassen es direkt vom Beginn an mit einer solchen Vehemenz krachen, dass es eher wie Heavy Metal und weniger wie Jazz anmutet. Cellist Valentin Ceccaldi traktiert sein Instrument wie eine überdimensionale Rockgitarre. Das hat er mit seinem Bruder Theo Ceccaldi gemein, der in einer anderen Band eine ebenso kompromisslose Abenteuerlust auf der Violine pflegt.
Das Cello kann nun mal sehr mächtige Riffs hervor bringen - wenn man sich nur traut, dies auf so einem alterwürdigen Instrument zu machen. Saxofonist Hermia lässt sich davon anstacheln, dass es ihn ohne Umschweife in expressivste Umlaufbahnen quer durch alle Klangregister und Tonlagen katapultiert. Vor allem kosten beide auf der Suche nach spannenden Flagoletts und Obertönen auch klangliche Schnittstellen aus. Derweil dürfte die Snaredrum des Schlagzeugers Sylvain Darrifourcq am Ende wohl kurz vorm Feuerfangen gewesen sein - so frenetisch, unerbittlich und raffiniert trommelt er seine Metren und Breakbeat-Kaskaden. Mehr hoch: Darrifourcq „dirigiert" durch seine Aktionen die ganze Klangdramaturgie. Oft sind das verspielte Geräuschfiguren mittels aller möglichen, auf den Felle herum hüpfender Objekte. Solche kleinen Strukturen lassen schon im nächsten Moment die Kollektivimprovisation explodieren. Aber: Mit vordergründiger Freejazz-Kraftmeierei haben die Stücke dieses Trios nichts zu tun. Zu intelligent sind die komponierten Strukturen, zu weitläufig ist die Architektur, in der sich immer neue, überraschende Tore aufstoßen.
Und das Ganze wirkt so physisch, direkt und körperlich, dass es das Ambiente eines Rockfestivals oder eines engen Clubs brauchte, mit dicht gedrängt stehenden Menschen voller Bewegungsdrang und Lust auf gemeinsame Ausschweifung. Aber auch so, im stilvollen Saal der alten Münsterländer Burg, aber auch auch in Krefeld, im entspanntem Ambiente mit kühlen Getränken an Tischen sitzend, tauchen die Zuhörerinnen und Zuhörer dankbar und verständig ein.
Auf jeden Fall ist es immer wieder gut, wenn eine ambitionierte Programmplanung eben nicht den Weg des geringsten Widerstandes geht. Über viele Jahre ist im Münsterland und auch in Krefeld schon eine nachhaltige "Gehörbildung" betrieben worden - und so etwas hat nun mal mit einem echten kulturellen Bildungsauftrag zu tun.
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