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Gypsyfest im Bochumer Kulturrat

Film, Lesung und Konzerte

Bochum, 15.09.2024
TEXT: Heinz Schlinkert, Reiner Skubowius | FOTO: Reiner Skubowius

Das 2015 vom Bochumer Kulturrat e.V. initiierte Gypsy-Festival fand in diesem Jahr zum fünften Male statt. Mit Lesungen, Ausstellungen, Filmvorführungen und Konzerten will man Brücken bauen zwischen Menschen mit unterschiedlichen Kulturen und Lebensgeschichten.  Sinti und Roma gehören seit Jahrhunderten zu den von Diskriminierung besonders betroffenen Minderheiten. Das mehrtägige Festival ermöglicht die direkte Begegnung mit ihnen und will ein deutliches Zeichen setzen gegen Fremdenfeindlichkeit, Antiziganismus und Intoleranz.

Ausstellungseröffnung und Lesung

Die Ausstellung „Wir sind hier“ wurde am 18. August eröffnet. Gezeigt werden fotografische Porträts und biografische Notizen aus einem Kölner Projekt mit Roma-Frauen eines Deutsch- und Alphabetisierungskurses. Noch mal zu sehen sein werden die Arbeiten vom 28.10.-17.11., wieder im Kulturrat.
Am 23. August las Ruždija ’Russo’ Sejdović aus seinem Buch ’Der Eremit‘. Der Autor kommt aus einer Roma-Familie, lebt seit 1988 in Deutschland und hat den ’Rom e.V. Köln‘ mitbegründet. Er hat mehrere Lyrikbände in seiner Sprache Romanes veröffentlicht. In seiner Kurzprosa ’Der Eremit‘, aus dem er im Kulturrat las, geht es um seine Herkunft und Familie, seine eigene Lebensgeschichte, die er in intimen, leisen, manchmal auch amüsanten Episoden erzählte. Vor allem kurze Sequenzen auf Romanes begeisterte die Zuhörer°innen. An die Lesung schloss sich ein Gespräch an, bei dem das Publikum mit großem Interesse und einer gesunden Neugier viele Fragen stellte, die der Autor in gut 45 Minuten beantwortete, aber auch darüber hinaus über das Leben von Sinti und Roma berichtete.

Samstag 24.8. - Film und Konzert des Romani Weiss Swingtetts

Am Samstagnachmittag wurde der Dokufilm „Der lange Weg der Sinti und Roma“ gezeigt (hr, 2022), der in intensiven Bildern persönliche Lebenswege und Schicksale von Deutschlands größter nationaler Minderheit mit z.T. selten gezeigten Archivbildern nachzeichnet. Hierbei wird klar, das eine Aufarbeitung in vielen gesellschaftlichen Bereichen bis heute notwendig ist.
Romani Weiss und Manolito Steinbach, zwei der Protagonisten im Film, setzten sich hinterher mit den Gästen im Foyer an einen großen Tisch, beantworteten Fragen und kamen mit den Leuten ins Gespräch, während die Bühne für den anschließenden Auftritt der Band vorbereitet wird.
Notwendigerweise brachte das Konzert des Romani Weiss Swingtetts wieder Leichtigkeit nach den doch bedrückenden Bildern des Films. Die Musik des Quartetts beweist, dass die Gypsy-Kultur überlebt hat und auch heute eine wichtige Rolle spielt. Zu hören waren zunächst Swing-Klassiker wie ’The best Things in Life are free‘ und ’All of Me‘ im typischen Gypsy-Stil. Hochvirtuos spielten Romani Weiss, ganz in weiß gekleidet, und die Geigerin Hanna Bienert in einem eindrucksvollen roten Kleid sehr melodiös mit vielen Solo-Einlagen. Begleitet wurden sie von Manolito Steinbach an der knallhart gepielten Rhythmus-Gitarre und von Axel Obert am Kontrabass.
Ansätze zu einer Weiterentwicklung des klassischen Gypsyswings fanden sich vor allem bei zwei Stücken. 'Manoir de mes rêves’ von Django Reinhardt hat Romani Weiss neu harmonisiert, ’Inspector Cat‘ hat er selbst komponiert. Die Rhythmus-Gitarre bleibt dabei außen vor und nun ergibt sich ein ganz anderer Sound, der zeitweise an Wes Montgomery erinnert.

Sonntag 25. 8. - Konzert des Markus Reinhard Ensembles

Am darauffolgenden Sonntag steht nun eine Band mit der gleichen Instrumentierung wie beim Swingtetts des Vorabends auf der Bühne. Doch alles ist anders, denn Markus Reinhard setzt trotz seiner Verbundenheit mit der Reinhardt-Familie auf Innovation und Veränderung.
Und Markus Reinhardt ist kein Unbekannter im Bochumer Kulturrat. Schon 2019 hat er zusammen mit Krystiane Vajda und mit Reiner Skubowius und Ilse Kivelitz vom Kulturrat das Gypsy-Fest organisiert. Damals ist er mit seinem Ensemble vor dem prächtig ausgestatteten ’Zigeunerwagen’ des Kölner Vereins MARO DROM (Unser Weg) aufgetreten, draußen vor dem Kulturrat (s. letztes Foto unten). Die beiden Gitarristen Janko Wiegand und Zoltan Püsky, die heute spielen, waren damals schon dabei. Neu ist der Bassist Jungeli Albrecht.

Das Konzert beginnt mit einem Klezmer-Stück, das Markus aus Israel mitgebracht hat, gefolgt von einem Stück seines Großonkels Django. Doch dann fordert Markus „mehr Raum für andere Player“ und spielt spontan eine Reihe von Stücken, die in der Band zwar nicht abgesprochen waren, in die sich die anderen Musiker aber mühelos einfinden. Bei ’Night and Day‘ und ’Black Orfeus‘ folgt Solo auf Solo. Immer wieder erzählt Markus kleine Geschichten aus seiner Kindheit als ’Zigeuner’ wie er sich selbstbewusst nennt. „Die Alten sind unsere Bücher“, sagt er und erklärt, dass es kaum schriftliche Aufzeichnungen aus der Zigeuner-Kultur gibt; doch das solle sich ändern.
Nach der Pause jagt ein Höhepunkt den anderen. Aus einem flirrenden Groove-Geflecht schält sich allmählich der Bossa ’Wave‘ von Tom Jobim heraus. Für das Publikum überraschend betritt nun eine Sängerin die Bühne, doch Krystiane Vajda ist schon seit längerem festes Mitglied der Band. Sie singt im Stil von Hildegard Knef ’In dieser Stadt‘ und Monroes ’Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt‘. Schon hier ist das Publikum fasziniert, doch es geht noch weiter mit Tina Turners ’I will survive‘, das Markus mit seiner Jazzgeige exzellent begleitet. Danach zeigt uns Markus, wie man mit der Geige Vogelstimmen imitieren kann, eine alte Gypsy-Tradition.  Zum Abschluss ein Walzer mit ernstem Hintergrund, den der Komponist Jaroka im KZ geschrieben hat.
Ein wundervolles Konzert voller Leben, das vor musikalischen Ideen sprüht und in dem auch Information und Kommunikation eine große Rolle spielen. Markus Reinhardt und sein Ensemble stehen damit für Vielfalt und Offenheit, für all das, was wir im Moment dringend brauchen!

https://bochumerkulturrat.de/

https://romaniweissswingtett.com/

https://www.koelscheheimat.de/kuenstler/Markus-Reinhardt/

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