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Großartige Tonkulissen

Killing Popes im domicil

Dortmund, 26.04.2023
TEXT: Martin Speer | FOTO: Kurt Rade

Oliver Steidles Band Killing Popes gab ein überragendes Konzert im Dortmunder domicil. Unser Autor Martin Speer ließ sich inspirieren...

Oliver Steidle ist über den Rock in den Jazz gekommen, hat also ein riesiges Interesse, dessen Power in den Jazz zu übersetzen. „Metal und Jazz sind sehr verwandt, was ihre Intensität angeht“, sagt der Berliner Drummer. Und das beweist er mit einem völlig neu aufgestellten internationalen Quintett unter dem seit einigen Jahren auf Festivals und in Clubs flirrenden Arbeitstitel The Killing Popes. Als „Punk & Noise“ bezeichnen die Musiker selbst ihren Stil, dabei sind es konzentrierteste Abfolgen kosmisch klingender Harmonien und an indische Ragas gemahnende Rhythmus-Patterns.

Die um Steidle arbeitende Working Group ist nicht jedermanns Sache. „Das ist keine Musik, das sind Geräusche“, klagte einer der Zuhörer nach dem Konzert. Stimmt nicht ganz: „Geräusch“ nur insofern, dass dieser Klang einen Rausch erzeugen kann, der süchtig macht. Nur zu gern verweist der Rezensent schon jetzt auf die beiden in den Tipps unten nochmals aufgeführten Knaller-Alben „Ego Pills“ (sic!) und „Ego Kills“ (ein bisschen herunterziehender) in anderen Besetzungen als jener heuer im Domicil. Sicherlich spielt auch „Rauschen“ eine wichtige Rolle bei diesem live-elektronisch verfremdenden und verstärkten Klangerlebnis.

Von Karlheinz Stockhausen jedenfalls haben sie gelernt, und verwandt sind sie sicher auch mit einer Linie noisiger, experimenteller, avantgardistischer Jazzrock-Bands: Frank Zappas Mothers Of Invention (1960er und 70er),Peter Brötzmann und Konsorten als Last Exit (1980er und 90er), John Zorns und Bill Laswells Painkiller (von den 1990ern bis heute) und näher als alles andere John Zorns Naked City (1990er). Die Popes stehen aber, da ist der Rezensent ganz ehrlich, diesen Namen in nichts nach, sie können von Fans ebendieses Genres gar neben- oder nacheinander gehört werden. Die Platten hat sich der Rezensent jedenfalls gleich digital für günstiges Geld bei Bandcamp gesichert.

Zürich, Paris, Amsterdam standen auf dem Europa-Tourplan der Band, den Abschluss bildete das Domicil Dortmund. Und auch wenn nebenbei der BVB 09 4:0 gegen Mainz gewann (Steidle hat spitzbübisch immer von der Bühne aus nachgefragt) und einige Fans sich sicher entscheiden mussten zwischen beiden Events, so hat sich das Konzert auf jeden Fall gelohnt, und die meisten haben daher kräftig applaudiert.

Growls und Rauschen

Ausnahmen darf es bei dem Anspruch, dem Krach und Temperament immer geben, das gehört mit zum Konzept, das sich deshalb Noise Punk nennt. Jedenfalls spürte man bei allen fünf Musikern, die strikt ins Notenblatt schauen mussten, erhöhte Konzentration. Der Berliner Tenorsaxophonist Philipp Gropper legte gleich anfangs mit erst stillen, denn immer mehr dröhnenden Sounds vor, bis Oliver Steidle, ebenfalls Hauptstädter, auf den Drums loslegte, dann spielten die fünf ein jeweils 15-minütiges Set ihrer Songs, was die Intensität sicher steigerte.

Den Bass besorgte der Londoner Keyboarder Dan Nicholls, der auch die meisten melodischen Parts mitgestaltete, während der Pariser Keyboarder Justus Raym als Chefelektroniker für die live-elektronischen Effekte zuständig war, von Ringmodulator-ähnlichen sich in langen Zeitabständen einholenden Sounds der gesamten Band oder der Solisten bis zu einem kompletten rauschigen Verfremden der gesamten Bandsounds, die derart am intensivsten wahrgenommen wurden. Saxofonist Gropper zählte angestrengt kopfnickend mit, bis er seine doch zum großen Teil melodischen, wenn auch stark im modalen Harmonienwald blätternden Soli hinlegte, aber auch an den intensivsten Stellen einen free-jazzigen mehrtönigen Growl hinlegte.

Rhizomatisches Gewirr

Nicholls hingegen, der nicht minder aufpassen musste bei den teils heftigen Rhythmen, die von Steidle hervorragend gestaltet wurden, die etwa aus einem schnellen 3/4- und einem langsamen 2/4-Takt bestanden, welche noch zusätzliche Patterns hineingelegt bekamen, Nicholls jedenfalls, der doch schon neben dem Drummer am weitesten als Vertrauter agierte und dirigierte, musste dann doch mal loslachen als ihm wie anderen Musikern auch das Notenblatt vom Ständer fiel. Das war gar nicht so leicht, dann zu improvisieren, denn statt Takt war in dem rhizomatischen Gewirr doch eher der durchaus rockige Puls ausschlaggebend.

Ein besonders großes Lob geht an den japanischen Gitarristen Keisuke Mizuno, ebenfalls in Berlin lebend, der im harmonisch-rhythmischen schweren Brei viele Klangkaskaden erzeugte, die durchaus Speed-Metal-Qualitäten hatten, und dabei auch ganz gut so rüberkam, obwohl man andererseits auch ihm die starke Konzentration anmerkte, Die Stücke waren denn aufgebaut um rhythmische Pulse oder melodische Zentren, aber oft auch gewollt polytonal, was die gesamten Sets sehr abwechslungsreich machte. Und klar, die Songtitel, die dem Rezensenten, der auch die Platten hörte, jetzt etwas durcheinandergeraten, von „F-U-C-K“ bis „Nuremberg Heroin Lullaby“, auch die zeugen vom etwas gewagteren Punk-Konzept. Bleibt dem Quintett zu wünschen, dass sie ähnlich wie Painkiller ein international durchwachsenes Rock-, Metal- und Jazz-Publikum gewinnen, das ihre großartigen Tonkulissen zu würdigen weiß.

  • Die beiden Alben „Ego Pills“ (2019) und „Ego Kills“ (2021) gibt es digital für je 7 und als CD bestellbar für je 12 Euro auf htpps://oliversteidle.bandamp.com
  • Mehr Infos zu den Killing Popes und anderen Steidle-Projekten unter www.oliversteidle.com
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