Gesamtkunstwerk aus Musik, Schauspiel und Visuals
Bojan Vuletic – Dark Matter
TEXT: Uwe Bräutigam | FOTO: Susanne Diesner
In der Düsseldorfer Tonhalle wurde die Uraufführung des Werkes Dark Matter vom Komponisten, Musiker und studiertem Astrophysiker Bojan Vuletic vom Publikum gefeiert.
URKNALL DER LIEBE UND DER ERKENNTNIS
Bojan Vuletic hat dieses Jahr im Sommer auf dem Asphaltfestival, dessen Co-Leiter er ist, kein neues Musikwerk vorgestellt, wie dies in den letzten Jahren üblich war. NRW Jazz hat in den letzten Jahren oft über seine Kompositionen und die Zusammenarbeit mit Musier*innen wie Markus Stockhausen , Bojan Z, Nate Wooley, Ingrid Laubrock oder dem Mivos Quartet berichtet. Nun fand ein Konzert mit einem neuen Werk von BojanVuletic mit dem Titel “Dark Matter“ (Dunkle Materie) in der Tonhalle Düsseldorf statt.
Im Startalk, einer Gesprächsrunde vor dem eigentlichen Konzert, berichtete Intendant Uwe Sommer-Sorgente, dass es Probleme bei der Einordnung des Werks von Bojan Vuletic gab.Das Werk ist für ein Kammermusikensemble mit Klavier (Alina Bereu), Violine (Egor Grechishnikov), Violoncello (Nikolaus Trieb) und Klarinette (Christoph Schneider) geschrieben. Vuletic hat hier kein Ensemble zusammengestellt, sondern vier exzellente Solisten ausgewählt, die jede/r eine eigene Stimme sind. Bei der Instrumentierung ließ sich Vuletic leiten von dem berühmten Werk Olivier Messiaens “Quartett für das Ende der Zeit“, das der französische Komponist in einem Kriegsgefangenenlager 1940/41 geschrieben hatte.
Zusätzlich zu den Musiker*innen sprach die Schauspielerin Vidina Popov die dramatischen Monologe des israelischen Dramatikers Shlomo Moskovitz. Begleitet wurde dies mit Visuals von Dietgard Brandenburg, die auf den Bühnenhintergrund projiziert wurden. Ebenso minimalistisch, wie eindrucksvoll haben sie die Handlung ausgeleuchtet. “Dark Matter“ von Bojan Vuletic ist ein Gesamtkunstwerk, mit Instrumentalist*innen, einer Schauspielerin und Visuals. Sechs Linien die zusammenkommen und sich gegenseitig stützen. Ist dies nun eine Oper, Kammermusik mit Sprecherin oder Musiktheater? “Dark Matter“ ist von allem etwas und so kam man am Ende überein, es einen “Urknall für Instrumente, Schauspielerin und Visuals“ zu nennen.
VIDINA POPOV BESTICHT IN IHRER ROLLE
Der Begriff Urknall ist im Kontext folgerichtig, da die Hauptperson eine Astronomin ist und die Beziehung zu Phänomenen im Universum immer wieder im Stück hergestellt wird. Die Handlung zieht sich in 14 Abschnitten durch das Werk. Die handelnde Person ist die junge israelische Astronomin Noga, die in einer Sternwarte in der Atacama Wüste in Chile schwarze Löcher erforscht. Auf einem Markt trifft sie Na`ama, die Liebe ihres Lebens. Aber plötzlich verschwindet ihre Geliebte unter ungeklärten Umständen. Sie wird von diesem Verschwinden traumatisiert, sie hört die Stimme Na´amas in ihrem Kopf und muss ihre Liebe unbedingt finden. Diese Suche führt sie per Bus nach Santiago und von dort mit dem Flugzeug nach Tel Aviv, dann in einen Kibbuz und schließlich findet sie ihre Liebe in einem Baumhaus wieder.
Die Musik von Vuletic war, der Handlung gemäß, überwiegend in Moll gehalten. Anklänge an Musik des Nahen Ostens verwiesen auf die Orte der Handlung. Die einzelnen Instrumente waren als eigene Stimmen deutlich wahrnehmbar und doch entstand immer wieder auch ein harmonischer Ensembleklang. Zugängliche zeitgenössische Musik, vorwiegend tonal mit einigen Ausbrüchen ins Atonale. Die Instrumentalisten leisteten dabei Herausragendes und setzten die Komposition exzellent um. Eine ganz besondere Leistung erbrachte die Schauspielerin Vidina Popov, bekannt vom Gorki Theater und aus Fernsehproduktionen wie dem Lissabon Krimi oder dem Tatort. Bei der Auswahl der Schauspielerin war Bojan Vuletic ein musikalisches Verständnis wichtig, Popov, die auch Sängerin ist, hatte nicht einfach die Rolle einer Sprecherin, sondern die eines fünften Instrumentes. Ihre Rolle hatte eine Partitur mit besonderen Herausforderungen, sie musste ein Gefühl dafür haben, wie die Sprache in die Musik integriert werden konnte. Und diese Rolle füllte sie meisterhaft aus. Aber sie hat nicht nur musikalisch gesprochen, sondern die Sprache mit ihren Körperbewegungen unterstrichen. Ganze Passagen hat sie auch getanzt und ihren Schmerz und die Ungewissheit über den Verbleib der Liebe ihres Lebens in wortlosem Gesang ausgedrückt. Vidina Popov hat eine beeindruckende Leistung geboten. Sie hat alle ihre Gefühle, ihre Angst verrückt zu sein und ihre Panikattacken mit Atemnot auf eine beklemmende Art und Weise für das Publikum greifbar gemacht. Sie war neben den herausragenden Instrumentalist*innen nicht nur ein fünftes Instrument, sondern hat sich als das tragende Instrument erwiesen.
HAMAS TERROR UND GEISELNAHME ALS SUBTEXT
“Dark Matter“ verhandelt menschliche Erfahrungen in krisenhaften Situationen. Das plötzliche Verschwinden eines geliebten Menschen, die Ungewissheit ob er noch lebt, die tiefe Bedrückung und gleichzeitig die unbändige Hoffnung. „Liebe ist Dunkle Materie“ hieß es im Werk. Sie ist ebenso wenig sichtbar wie zu ergründen, aber sie ist real und kann das menschliche Leben verändern.
Aber dies war nur eine Ebene des Stückes. Es gab einen Subtext, der nie ausgesprochen wurde, der aber immer präsent war, das waren der schreckliche Terror der Hamas am 7. Oktober 2023 und die Verschleppung von Geiseln. Die Astronomin Noga kommt am 9. Oktober in Tel Aviv an. Gehört ihre Geliebte zu den Opfern, ist sie tot? Die Trauer, der Schmerz über den Verlust von geliebten Menschen, die Sorge und die Ungewissheit um das Leben der Geiseln, all das stand im unausgesprochenen Subtext. Der Krieg fordert Opfer auf beiden Seiten. Können die Tränen der Menschen auf beiden Seiten, die ihre Opfer beweinen, zusammenfließen und Frieden bewirken? All das wird nicht ausgeführt, höchstens angedeutet, dem Publikum wird das Denken nicht abgenommen. Im Startalk vor der Aufführung fiel das berühmte Zitat von Albert Einstein: „Zwei Dinge sind unendlich, das Universum und die menschliche Dummheit. Aber beim Universum bin ich mir nicht sicher.“ Sowohl Bojan Vuletic als auch der Dramatiker Shlomo Moskovitz wollten dem nicht widersprechen, aber trotzdem setzen sie der Dummheit die Nachdenklichkeit und die Erkenntnis entgegen. Die Hoffnung bleibt immer bestehen, auch bei Noga, die ihre Liebe doch noch wieder findet.
AUS FÜR DAS "SCHÖNEN WOCHENENDE" FESTIVAL
Die Aufführung von “Dark Matter“ war der Abschluss des Festivals “Schönes Wochenende“. Aber nicht nur der Abschluss für das diesjährige Festival, sondern die Aufführung war auch das Ende des Festivals. Nach zehn Jahren fällt bedauernswerter Weise für das kleine Festival “Schönes Wochenende“ der Vorhang. Zehn Jahre mit spannenden Veranstaltungen mit großartiger zeitgenössischer Musik gehen damit zu Ende. Wird es einen Ersatz geben? Oder wird diese Art der Veranstaltung vom Schwarzen Loch der Kürzungen im Kulturbereich eingesaugt und verschwindet dann auf Nimmerwiedersehen. Die Hoffnung bleibt, dass dies nicht der Fall sein wird.