Georg Graewe und Sonic Fiction Orchestra
Ein Konzert der Sonderklasse
TEXT: Heinrich Brinkmöller-Becker | FOTO: Heinrich Brinkmöller-Becker
Bandleader, Komponist und Pianist Georg Graewe kam mit einer Großformation mit exquisiter Besetzung und ebensolchem Programm zurück ins Ruhrgebiet, mit seinem Sonic Fiction Orchestra gastierte er in den Kammerspielen des Bochumer Schauspielhauses. Der in Wien lebende Musiker hat in NRW seit seinem GrubenKlangOrchester und – leider nur spärlichen - Auftritten einen besten Ruf. Dem wurde er mit seinem aktuellen Konzert voll und ganz gerecht. „Fortschritt und Vergnügen“ heißt sein aktuelles Programm und entspricht im Wesentlichen dem Material der gleichnamigen CD mit Kompositionen ausschließlich von Georg Graewe.
Allein die Besetzung des Sonic fiction Orchestra ist – nun ja - ungewöhnlich: Streicher (Violine, Bratsche, Kontrabass), Drums, Piano, E-Gitarre, Fagott, (Bass-)Klarinette, Harfe, Vibraphon. Wie dies zusammen klingt, wie die Instrumente sich zu einem Konzert verbinden lassen, vermag man sich kaum vorzustellen. Vielleicht hilft da der Bandname: „Sonic fiction Orchestra“ beschreibt treffend den musikästhetischen Ansatz der Formation: Ihr gelingt in der Tat eine abstrakt-fiktionale Musik, abseits der üblichen Genre-Zuschreibungen, irgendwo zwischen neuer Musik und improvisierter Musik. Georg Graewe nimmt sich die Freiheit, genau diese klanglichen Eigenschaften der heterogenen Formation zu einem eigentümlichen Orchesterklang zu formen. Die notierten Stücke lassen dabei Raum für multiple Improvisationen. Die längeren Kompositionen wie Semaphore oder Redshift E beispielsweise öffnen sich immer wieder für Improvisationen. Die Geschlossenheit der filigranen Kompositionen gibt den Rahmen für freies Agieren des Ensembles, wobei die Improvisationen ausgesprochen organisch und frei von Beliebigkeit wirken.
Traumschöne Preziosen des Zusammenspiels
Alle Mitglieder des Ensembles bekommen in unterschiedlichen Konstellationen Gelegenheit, die Stücke im Tutti oder in den verschiedenen Gruppierungen zu spielen, den kompositorischen Impuls aufzugreifen für eigenes Spiel oder wieder in die Komposition zurückzufinden. So entstehen die verblüffendsten und ja: traumschönen Preziosen des Zusammenspiels: mal im „klassischen“ Jazztrio von Piano, Bass und Drums, mal im Duett von Violine und Drums, mal mit Bass und Harfe, mal mit Fagott und Klarinette, mal mit Harfe und Vibraphon, … Der kompositorische Setzkasten bringt neben überzeugenden Soli alle Instrumente und Instrumentengruppen zusammen, Unvorhergesehenes/-gehörtes setzt so sprunghaft ein, ohne penetrant zu wirken, Eruptionen fügen sich organisch und mit großer Klangdichte in den Flow ein. Musikalische Themen finden sich in Parallelisierungen, Spiegelungen, Kontrasten. Dem Ensemble gelingt das Schaffen eines besonderen Kosmos mit vielen klanglichen Sternschnuppen, die kaleidoskopartig auftauchen, sich funkelnd präsentieren und verglühen. Es gibt Momente explosiven kakophonischen Powerplays, kräftigen Jazz-Rocks, „klassischen“ Jazz‘, eine Streichquartett-Einlage, Kammermusik, feinziselierte Miniaturen, sowohl ganz zarte als auch furiose Soli – nicht zuletzt auch von Georg Graewe am Bösendorfer-Flügel mit einem virtuosen Powerplay. In den fragmentierten Sequenzen collagiert die Combo sehr assoziationsreiches Material und fügt es zu einem formlosen Klanggeflecht, bestehend aus den unterschiedlichsten Texturen.
Hochkarätige Besetzung
Der ausnahmslos hochkarätig besetzten Formation ist anzuhören, dass man lange zusammenspielt, allein neun Konzerte im Wiener Porgy & Bess in Vor-Corona-Zeiten hat die Combo gemeinsam bestritten. Ein Konzert der Sonderklasse – in der mutigen Besetzung und Umsetzung fortschrittlich und für das Publikum von größtem Vergnügen! Neben Georg Graewe am Flügel und am Dirigenten-Pult: Frank Gratkowski (cl, bcl), Maria Gstättner (fg), Joanna Lewis (vln), Laura Strobl (vla), Melissa Coleman (vlc), Sara Kowal (harp), Martin Siewert (gtr(elec), Els Vandeweyer (vib), Peter Herbert (b), Gerry Hemingway (dr)
Für diejenigen, die der Sternstunde einer im Wortsinn freien Musik nicht beiwohnen konnten, sei wärmstens die CD empfohlen:
Georg Graewe & Sonic Fiction Orchestra: Fortschritt und Vergnügen. RA CD 034 (www.randomacoustics.net)