Bild für Beitrag: Geöffnete Türen | Parma Frontiere Festival 2014
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Geöffnete Türen

Parma Frontiere Festival 2014

Parma, 17.01.2014
TEXT: Stefan Pieper | FOTO: Stefan Pieper

Mitteleuropas Komponisten zog es in früheren Jahrhunderten nach Italien – nicht nur um das Licht, sondern auch neue Ideen und eine besonders verfeinerte Kultur zu erspüren. Wenn es in unseren Breiten düster wird, kann ein Flug über die Alpen schon diesen Effekt bringen: Über dem Tessin reißt die Wolkendecke auf, es lockt das tiefe blau des Lago Maggiore und auf dem Flughafen von Mailand ist sogar Mitten im Dezember ein ganz zarter Hauch von südlicher Wärme zu spüren. Kurz danach gibt sich Parma ganz entspannt und nicht minder einladend hell: Herrliche alte Gebäude in dieser stolzen Stadt inklusive verschwenderischer Sakralkunst und prunkvoller Theater scheinen adäquat für eine Stadt, die keinen geringeren als Guiseppe Verdi hervorbrachte. Etwas versteckt mutet da jenes Ereignis an, das seinen Anspruch schon in seinem Namen verewigt trägt: „Parma Frontiere“ deutet verdächtig auf die Erkundung ästhetischer Grenzen hin. 1996 ist Parma Frontiere ins Leben gerufen worden und im Jahr 2001 wurde eine Foundation gegründet, die der künstlerischen Arbeit maßgeblich hilft. Stian Westerhuis, Louis Sclavis, Ralph Towner, Marylin Crispell, Barry Guy und so endlos viele mehr waren hier bereits zu Gast. Der künstlerische Leiter dieses seit 1996 bestehenden Festivals ist seit seiner Gründung Roberto Bonati - ein Bassist, Komponist, ein literarischer Feigest und Denker. Er hat das alljährlich zwischen November und Dezember stattfindende Ereignis zu dem gemacht, was es ist: Ein Brennpunkt der improvisierte Musik und verfeinerte Jazzkultur.

„Das Festival organisieren ist doch wie ein Konzert zu gestalten, geht es doch darum, über die Gegenwart zu reflektieren“ lautet ein Credo dieses Musikers, der zum Kontrabass sozusagen über Nacht fand, nachdem er John Coltranes India im Autoradio gehört hatte. Und wenn sich nun das überschaubare, aber umso interessierte Publikum in dem gediegenen Saal der Casa Musica von Parma einfindet, „wollen alle Türen geöffnet sein, um die Musik hineinzulassen“. So verschieden hier die Musikstile sind, so übergreifend verbindlich sind die Ideale der Protagonisten auf der Bühne, die aus so vielen Ländern nach hierhin reisen. Und Bonati liebt den literarischen Überbau und legt seinen eigenen CD-Produktionen nicht selten außermusikalische Sujets zugrunde. So denkt er über den postmodernen Anspruch von Umberto Eco nach, als wir bei einem gemeinsamen Bummel durch die Altstadt über das Auftaktkonzert an diesem letzten Festivalwochenende reden. So wie Eco alte Geschichten und Gedankengut aus einem neuen Blickwinkel aufbereitet, haben Franco d´Andrea, Mauro Ottolini und Daniele d’Agaro über den Jazz als eine klassische Musik des 20. Jahrhunderts reflektiert, dekonstruieren in ihrem Spiel Elemente der Jazzhistorie, um diese zu etwas neuem zu machen. Franco d Andrea hämmert die polternden Grooves, malt herbe Farbkontraste durch freches Spiel mit den Harmonien – so hat es Thelonious Monk vorgemacht, und genauso ungebrochen revoluzzerhaft wirkt dies jetzt gerade im Casa Musica. Und allein Mauro Ottolinis Arsenal an Posaunendämpfern reflektiert ein schier enzyklopädisches Spektrum aus Klangfarben, wie sie der Jazzstammbaum hervorbrachte. All dies lebt, vibriert und leuchtet – so dass man Duke Ellingtons „Caravan“ am Ende wieder richtig avantgardistisch findet. Darüber besteht auf jeden Fall Einigkeit beim euphorischen Nachkonzert-Plausch mit Mauro Ottolini.

Und weil beim Parma Frontiere Festival eben kein Konzertmarathon an einem Wochenende die Sinne verstopft, sondern pro Abend nur ein Konzert zum Eintauchen Gelegenheit gibt, so besteht in Parma ganz viel Muße zum Gespräch, zum Verweilen und zum Sich-Treiben lassen. Noch intensiver als die Konzertauftritte sind manchmal die Proben. Roberto Bonatis eigenes Trio stimmt sich auf das Abendkonzert ein: Alle drei checken den Sound, hören sich aufeinander ein. Dieses Prozesshafte, dieses Tastende und Suchende, diese Momente des Sich Findens treten im unfertigen Zustand einer Probe sogar noch direkter und faszinierender hervor. Da verdichtet sich auf einmal eine verbindende Chemie zwischen Bonatis Bassspiel, der exzentrischen Perkussionsklangwelt von Roberto Dani, den neo-psychedelischen Klanglandschaften von Vincenzo Mingiardi. Jetzt sind die Türen ganz weit geöffnet, um den reinen, puren und echten Klang zu finden. Bonati beschreibt den Zustand als Herausforderung und als etwas passives zugleich: „Es ist oft nicht leicht, dass alles zusammenkommt. Diese Freiheit auszuschöpfen. Aber da ist ein Prozess der Bewusstwerdung des Sounds. Es geht darum, den Klang mit Deinem Gehirn und Deinem Geist zu verknüpfen. Oft ist der Klang gar nicht mit dem verbunden, was du tust.“ Beim abendlichen langen Auftritt, in dem das Trio nur ein einziges Mal zwischen zwei langen Stücken innehält, kommt alles bestens zur Entfaltung. Danach fühlt sich Bonati erschöpft, aber auch erfrischt. Das Öffnen der Türen hat viele Energien abgefordert, aber auch den Geist wachgemacht.

Das Gespräch mit Bonati setzt sich fort – über einen langen Abend bei gutem Wein und Essen nach dem Konzert. In einem der vielen charmanten Cafes bei Espresso und Gepäck, schließlich in Bonatis Studio inmitten der Altstadt. Hier ist seine Schaltstelle und hier ist auch Bonatis Kontrabass zu Hause. Auf dem Notenständer stehen Bachs Cellosuiten in einer Transkription für Kontrabass. Wir fachsimpeln darüber, und Bonati greift zum Instrument zur Demonstration. Dieses Instrument war eine Spontanidee. Hatte er erst Rockgitarre, Klavier und auch mal eine Stunde Trompetenunterricht genommen, so überwältigte ihn das Hören von John Coltranes India während einer Autofahrt. „Ich hörte diese Basslinien, die von zwei Bassisten gespielt werden – und es war um mich geschehen. Von da an war der Bass mein Instrument.“ Bonatis ruhige Art scheint gar nicht zu der Energie seiner Projekte zu passen. Er konzertierte, nahm auf, studierte zusätzlich Orchesterleitung. Er komponiert und improvisiert - und bei allem transportiert er diespezifische spürbare Gelassenheit dieser Stadt, seiner Heimatstadt: „Es gibt eine Verbindungslinie zwischen all diesen Dingen. Insgesamt kann ich von mir sagen, dass ich jene Dinge tue, die ich gerne tun will.“ Dazu gehört auch, die Jugend weiterzubringen. Die Künstler, die den Kern vieler Besetzungen bilden, sind auch Lehrende an Parmas Konservatorium.

Viele Nachwuchstalente reisen von weitem an, um zu lernen: „Wir sind glücklich, wenn wir hier neue Talente finden können. Die Hochschule ist ein guter Weg darüber zu reflektieren, was einen Künstler ausmacht. Mal ist es Improvisation, dann wieder Komposition – hier geht es darum, die Pluralität verschiedener musikalischer Sprachen in Betracht zu ziehen. Und bei alldem ist es sehr wichtig, Musik zu schreiben und dies zu lernen. Deswegen durchläuft jeder Lernende einen Kompositionskurs. Stell das Instrument am in eine Ecke und schon beginnst Du über Musik nachzudenken. Und das heißt auch, sich über die Schablonen eines Stils hinweg zu emanzipieren. Denn erst dann beginnst Du zu fragen, wer bist du überhaupt. Wer einfach nur ein Herbie Hancock Solo nachmacht, kommt auf dieser Stufe nie an.“

Parma Frontiere verweigert sich dem großen Event-Hype. Vielleicht könnte es etwas mehr davon vertragen, noch mehr Publikum ziehen, und dadurch noch etwas mehr kreative Unruhe in die schöne alte Stadt zu bringen. Vorbildlich ist die Historiografie dieses Festivals. Für sie zeichnet die fotografische Kunst des Pietro Bandini verantwortlich, der die Aura und Persönlichkeit der vielen wunderbaren Musiker in den oft kleinen, stillen Momenten eingefangen hat.

Der letzte Abend dieses Wochenendes und damit auch des gesamten Festivals gehört Evelina Petrova, die hier im Duo mit Roberto Dani spielt. Schon auf der langen Autofahrt vom Mailänder Flughafen nach Parma war es zum anregenden Gespräch mit der Sängerin und Akkordeonspielerin gekommen. Sie stammt aus Sankt Petersburg, hat dort am Konservatorium studiert und sich der Improvisierten Szene zugewandt. Mittlerweile ist ihre Wahlheimat Norwegen, anscheinend nach wie vor das Paradies für Jazzmusiker. Auch Roberto Bonati pflegte einen intensiven Austausch mit der Szene in diesem Land, mit seinen Menschen, die so open-minded sind.

Evelina Petrova und Roberto Dani tasten sich in eine zerbrechliche Klangwelt hinein. Im Zentrum stehen Lieder, die Evelina mit feinsten Klangeffekten garniert, all dies wird „beantwortet“ durch die vielen akustischen und optischen Gesten von Roberto Dani, für den das Schlagzeugspiel eine gesamtkörperliche Ausdruckskunst voller Exzentrik und Sensibiltät ist. Etwas undankbar ist die Aufgabe allerdings an diesem Abend. Zwar ist die Lokalität grandios – ein altes barockes Palazzo, welches heute einer Bank gehört und welches von einer reichen Sponsorenfamilie des Festivals unterhalten wird.

Der Abend ist vor allem ein Dankeschön an die Ehrengäste aus Politik und Wirtschaft, die das Festival jedes Jahr ermöglichen. Verhandeln muss Roberto Bonati jedes Mal neu, um die notwendigen Fördermittel zu erhalten. Das ist nicht viel anders als bei uns, sagt er, eher schlechter. Auch im Land der feinen Kultur sind die Nischen zerbrechlich und bedürfen behutsamer Pflege.

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