Furioses Klang-Panoptikum
Gianni Gebbia in der Zeche Carl Essen
TEXT: Heinrich Brinkmöller-Becker | FOTO: © Ruhrtriennale, Foto: Heinrich Brinkmöller-Becker, 2014
Freunde der italienischen Kultur konnten im Rahmen der diesjährigen Ruhrtriennale eine besondere Facette derselben kennenlernen: Der Komponist, Saxofonist und Filmregisseur Gianni Gebbia gab im Rahmen der Konzerte im Maschinenhaus/Improvisation & Sound Art mit seinem Alt-Saxophon eine Solo-Vorstellung. Heiner Goebbels mit seinem Team gelang es damit auch in dem letzten Jahr seiner Intendanz, einen Ausnahmekünstler für diese Ausnahmereihe auch in der Spielzeit 2014 zu gewinnen.
Der Improvisationskünstler aus Palermo zieht das Publikum in dem ausverkauften Maschinenhaus der Zeche Carl vom ersten Ton an in den Bann: Ein wahrer musikalischer Veitstanz entwickelt sich aus Gebbias Spiel, dem Selmer-Sax entlockt der sympathische Solo-Performer – er hat übrigens über Coltrane promoviert - eine Vielfalt von Klängen, Rhythmen, melodischen Anspielungen. Man meint, einem Konzert eines kleinen Straßenmusiker-Ensembles beizuwohnen. Die Zirkularatmung beherrscht Gianni Gebbia meisterlich. Diese Atemtechnik hat er nach seiner Aussage beim sardischen Launedda-Meister Dionigi Burranca erlernt. In minutenlangen Arpeggioläufen mit wechselnden Akkorden und repetitiven Mustern versetzt er sich und die Zuhörerschaft in einen tranceartigen Zustand. Assoziationsreich ist diese Musik, die an die schamanisch wirkende rituelle Rolle der süditalienischen Folklore, an Tänze wie den Tarantella oder die Pizzica erinnert. Die wiederkehrenden rhythmischen Läufe werden verstärkt durch die Klappengeräusche des Saxophons und durch elektronisches Spielzeug. Darüber setzt Gebbia geschickt melodische Phrasen, die tief in der süditalienischen Folklore und Musiktradition verwurzelt sind. In der Zwischenmoderation vergleicht Gebbia diese musikalische Vorgehensweise als Panoptikum. In der Tat wirbelt er mit seinem Spiel sein Material kräftig durcheinander, die melodischen An-Klänge an sardisch-sizilianisches Liedgut mit durchaus „blues“-artigen melancholischen Schwingungen erzeugen eine ausgesprochen dichte und assoziationsfreudige Atmosphäre. Bilder von bukolischen Szenen, vom aufgeregt-schnatternden Dorfleben, von Verkaufssituationen, von Festen, von fahrenden Musikanten, kurz: vom süditalienischen Landleben werden hervorgerufen. Chorische Elemente, Frage-Antwort-Schemata von Gassenhauern, verschiedene Klangfarben entlockt Gebbia seinem Instrument, das er mit so verschiedenen Techniken einsetzt, die man einer Solo-Performance in dieser Form nicht zutraut. Die minutenlange Zirkularatmung mündet häufig in schrille Ausflüchte, ins Growling, in Multiphonics, Glissandi und mikrotonale Intervalle, dieses Kippen wird panoptikumartig wieder aufgefangen und in andere harmonische und melodische Muster überführt, um immer leiser werdend nur noch im Rhythmus der Klappen zu enden. Das Mundstück wird dabei zum Teil durch ein saxophonfremdes ersetzt oder ganz weggelassen, anschließend verhilft es wieder zu einem wunderschön warmen Alto-Klang. Ein wenig Straßentheater-Feeling kommt auf, wenn Gebbia das Schallstück seines Instruments mit einem Gummihandschuh versieht und mit seinem Atem die Hand bzw. Finger des Handschuhs in Bewegung bringt.
Ein glanzvoller Auftritt des Soloperformers, ein atmosphärisch und klanglich für dieses „kleine“ Konzert stimmiger räumlicher Rahmen in dem Maschinenhaus – ein rundum gelungener Abend. Dank an Heiner Goebbels für die wunderbaren Momente in der gesamten Improvisationsreihe! Der Triennale-Nachfolge, uns als interessiertem Publikum ist auf jeden Fall in den nächsten drei Jahren eine Fortsetzung zu wünschen.