Friedliche Töne, unbändige Landschaft
Das Sunna Gunnlaug Trio veredelte die Scharoun-Aula
TEXT: Stefan Pieper | FOTO: Stefan Pieper
Von der Weite Islands in die Intimität der Scharoun-Aula – ein Weg, der widersprüchlich erscheint und sich beim Konzert im Rahmen der Reihe FineArtJazz als verblüffend schlüssig erwies. Sunna Gunnlaugs, Þorgrímur Jónsson und Scott McLemore agierten als drei Musikerpersönlichkeiten, die ihre Sache beherrschen. Vielleicht zu perfekt manchmal? Schon mit dem ersten Stück – einer Liebeserklärung an ihren eigenen Hund – setzte die isländische Pianistin den Ton für diesen Abend: persönlich und geschliffen zugleich.
Fast zu tiefenentspannt
Tiefenentspannter kann man kaum musizieren – fast zu entspannt, aber mit perfekter Kontrolle und im Trio als atmender Organismus. Bassist Jónsson ist präsent, lyrisch ausmalend und melodisch agierend. McLemore an den Drums war die heimliche Entdeckung des Abends mit außergewöhnlicher Sensibilität für die knifflige Akustik der Scharoun-Aula. Statt harten Anschlags lässt er die Besen federnd über die Felle gleiten, findet mikroskopisch feine Abstufungen zwischen Beckenarbeit und Tom-Akzenten. So wird der Raum umschmeichelt, aber nie erobert oder gar einseitig dominiert. Die Bildershow in der Scharoun-Aula zeigt Islands elementare Kräfte: Geysire im Dämmerlicht, schneebedeckte Vulkane, Moosfelder unter dramatischen Wolkenformationen. Während eines meditativen Stücks verschmelzen Bilder schwarzer Lavafelder im Mitternachtslicht mit der Musik. Seltsam: Die Bilder sind oft viel „lauter" als diese unschuldsvolle Musik.
In Gunnlaugs' Klavieranschlag liegt ein Gespür für Klangschattierungen. Man hört die Einflüsse: Akzente von Debussy und Ravel und immer wieder dieser lyrische Bill-Evans-Move und alles ist zu einer schwebenden Atmosphäre verschmolzen. Die filigrane Fingerfertigkeit dient bei der Isländerin nie als Selbstzweck. Auch diverse traditionelle isländische Lieder finden Einzug in die High-End-Jazz-Arrangements. Der entschleunigte Spielfluss wirkt allerdings oft zu wohlerzogen bei der deutlichen Bevorzugung von Dur-Melodien. Vor allem im Vergleich zu den epischen Bildern mit ihren mächtigen Gletschern, aktiven Vulkanen und von Naturgewalt geformten Küstenlinien – ja, die Bilder sind irgendwie viel „lauter" als die Musik mit ihrer kultivierten Nettigkeit.
Behaglichkeit als nordisches Lebensprinzip
Wer diese musikalische Herangehensweise als oberflächlich abtut, ist aber auf dem Holzweg. Denn Musik wird hier anscheind als Refugium begriffen, soviel ist spürbar im beseelten Tun dieses Trios. Assoziativ in den Sinn kommt beim Hören der spezifische nordische Kulturbegriff des „Hygge" (so nennt sich das zumindest in Norwegen). »Hygge« ist viel mehr als einfach Gemütlichkeit, denn es geht um eine besondere alltagskulturelle Form eines aktiv gepflegten Wohlbehagens trotz rauer äußerer Umstände. Im Idealfall gehört dazu ein guter Whisky und Kerzenschein - da kann der Sturm noch so sehr draußen am Fenster rütteln.
Nach der Pause agierte das Trio mutiger und freier. Die Band ließ phasenweise los und hob zu weiträumigeren Kollektivimprovisationen auf, manchmal minutenlang und so, dass zum ersten Mal auch die Fußspitzen beim Hören in Bewegung kamen. In diesen Momenten ging das Fenster musikalisch richtig auf: Zu den Landschaftsimpressionen mit glitzernden Eisbrocken, mit Fjorden im Dunst, den einsamen Hochlandpisten durch unwirkliche Mondlandschaften und schließlich auch einem lavaspeienden Vulkanmassiv im Dunkeln. Man kann Musik domestizieren. Die Natur, gerade in dieser Region dieses Planeten, bleibt immer undomestizierbar.