Freude und Erleichterung!
50. domicil - Weihnachtsmatinée im Opernhaus
TEXT: Heinz Schlinkert | FOTO: Alex Kunkel, Heinz Schlinkert
Die Sonne scheint durch die große Glasfassade des Dortmunder Opernhauses ins Innere bis auf die Bühne im oberen Foyer. Die Menschen stehen dicht gedrängt, die Treppe ist voll ‚besetzt‘. Es herrscht echte Weihnachtsfreude und Erleichtung, dass so ein Event wieder möglich ist.
- 50 x Weihnachtsjazz!
Zum 50. Mal Weihnachtsjazz im Opernhaus! Das wird gefeiert, zumal nach 2 Jahren pandemiebedingter Live-Pause. Am 26.12.1971 fand die erste Matinée statt und wurde in der Presse kommentiert mit „Entweihung der heiligen Hallen“ bis hin zu „vergnügter Vormittag bei Flaschbier und Familie“. Vorläufer der Matinée war eine Art Jahresabschlusskonzert der Jazzszene, das schon 1968 im Fritz-Henßler-Haus stattfand. Später wurde dann der domicil e.V. gegründet, der nach wie vor dieses Jazzfest organisiert.
Vor allem Bands aus Dortmund sind dabei, doch auch aus anderen Ruhrgebietsstädten wie Witten und Essen. Nicht zufällig ist diesmal auch Osteuropa vertreten mit MusikerInnen aus der Ukraine und aus Weißrussland. 10 Bands spielen heute am 2. Weihnachtstag auf 5 Bühnen im verschiedenen Foyer-Bereichen des Opernhauses, jeweils zwei nacheinander. Jeder Bühne ist einem Schwerpunkt zugeordnet: Modern Jazz, Big Band & Traditional Jazz, – Fusion, Weltmusik und Beyond Jazz.
- 1. Halbzeit
Eröffnet wird die Matinée pünktlich um 11 von der Groove m.b.H., der Bigband der Dortmunder Uni unter der Leitung ihres Gründers Michael Kröger. Ganz oben vor der großen Treppe setzt sie mit einer triumphalen Version von In the Stone ein, ein Knaller, mit dem sich sofort allgemeine Lebensfreude ausbreitet. Wer kann da noch still stehen? Ein super Beginn!
Wenig später ist unterhalb das Masterclass Ensemble der Glen Buschmann Jazz Akademie Dortmund (GBJA ) zu hören, das aus fortgeschrittenen jungen und talentierten Schülerinnen und Schülern im Alter von 14 - 18 Jahren besteht. Moderner Jazz mit Stücken von Lennie Tristano, Joshua Redman u.a. wird gespielt. Wenn man die Band nicht sähe, würde man nicht glauben, wie jung die Musiker noch sind. Der 15jährige Ukrainer Mark Maksynowitch überzeugt mit dem AltSax und spielt oft im Stil von Charlie Parker. Auch Jakob Hein (17) am Schlagzeug, Magdalena Düser (16) am Klavier und Johannes Otto (14) am Kontrabass spielen wie die Profis. Die Band hat dieses Jahr den JugendJazzAward der Viersener Jazztage bekommen.
Und weiter geht es Schlag auf Schlag eine Viertelstunde später auf der nächsten Bühne mit Searching For The Goat, dem Elektro-Fusion Trio aus dem Umfeld des Essener Folkwang-Jazz-Studiengangs. Das ist mehr als regulärer Fusionjazz der 70er, viel Elektronik mit Samples, das EWI (from electronic wind instrument) ersetzt zeitweise das Altsax. Hierhin bekommt man leichter Zugang, denn andere Bühnen sind mehr belagert.
Im Rahmen der Weltmusik spielt Salon 4b, kein Frisiersalon, sondern eine Ruhrgebietsband. Die Musiker sind schon etwas älter und stilistisch breit aufgestellt von Balkan Beats über Jazz bis hin zu Calypso, manchmal klingts nach Country, vor allem wenn die Violine einsetzt. Lockere Atmosphäre vor der Theke der Bar, wo die Band unterhaltsame Musik spielt, nur der Saxofonist Dixon Ra überzeugt mich nicht so recht.
Special Highlight ist Inoyson, eine ukrainische Komponistin und Multiinstrumentalistin. Sie sitzt am linken Rand der Bühne im Untergeschoss, spielt Klavier und singt. Doch mein Blick geht auf die Mitte der Bühne, wo ein riesiges Himmelbett steht, Farben rosa und bleu (s. Foto rechts). Das ist sicher keine ukrainische Volksmusik, ganz im Gegenteil! Strange, da man muss sich schon darauf einlassen, um einen Bezug zu finden. Beyond Jazz eben. Ich gehe mal weiter.
- Pause
In der Pause wirds nicht ruhiger, die Bands bauen um, die Zuschauer blockieren mit dem Schlangestehen an der Theke die Treppe, aber alles verläuft ruhig. Das Publikum rangiert so ab Mitte 30 mit viel Luft auf der nach oben hin offenen Jazzalters-Skala. Doch wer an welcher Bühne steht, das hat schon was mit dem Alter zu tun. Umso wichtiger die gut gelungene, breite Streuung der Jazzstile.
- 2. Halbzeit
Die meisten Bands im zweiten Teil sind schon recht speziell. Das Lyrical Jazz Project der weißrussischen Sängerin Mariann Shaguroff erzählt mit Eigenkompositionen Geschichten, in denen Lyrik und Klänge ineinandergreifen. Auch bekannte Standards des modernen Jazz sind zu hören.
Etwas ganz Besonderes ist der Solo-Auftritt von Karl Erik Niggemann. Das Savage Mountain Projekt dieses 19jährigen Dortmunder Songwriters und Gitarristen beeindruckt durch die Radikalität der Performance. Auf der Folie eines Hardcore-Gitarren/Drums-Sample agiert der Solist sehr 'savage', mit viel Körpersprache und fast schon aggressivem Sprachgesang. Im letzten Jahr hat er den domicil Förderpreis „Play Your own Thing“ für digitale und elektronische Musik gewonnen.
Sehr gut besucht ist diese Matinée, wahrscheinlich ausverkauft, was allerdings auch dazu führt, dass man nicht überall an die Bands herankommt. Dies gilt insbesondere für die Bühne 5 Beyond Jazz im Untergeschoss, wo die Feuerwehr den Zugang auf 100 Personen beschränkt hat. Die Dortmunder Blaskapelle und Marching Band ‚schwarz/rot Atemgold 09‘ mit ihrem Ruhrskaworldjazzbrass ist jetzt nicht zu erreichen, vielleicht ein andermal.
Das Alam Bülow Trio aus Witten ist bekannt für Einflüsse aus Folklore, Weltmusik, Jazz und Klassik. Ein ewig langer Soundcheck vertreibt anfangs die Zuschauer, wenig später ist der Raum aber so voll, das kein Zugang mehr möglich ist.
Auf der oberen Bühne hätten jetzt ursprünglich die Pilspickers spielen sollen. Das Frank Scheele Swing Quartett ist kurzfristig eingesprungen. Doch das ist kein Verlust: kein Dixieland, dafür ‚Strictly Swing‘. Der Soundcheck erfolgt als bluesiger Einstieg, bei dem der Sänger und Charmeur Frank Scheele mit einem improvisierten Text die Band vorstellt und auf die Situation Bezug nimmt. Und dann gehts los mit It’s only a Papermoon, und sogar ein jazziges Weihnachtslied ist dabei; später höre ich Moon River. Ein wunderbarer Ausklang dieser Matinée!
Vielen Dank an das Organisationsteam des domicil! Nächstes Jahr hoffentlich wieder hier!