Bild für Beitrag: Flusslandschaften | Marienthaler Festspiele 2013
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Flusslandschaften

Marienthaler Festspiele 2013

Wesel, 03.09.2013
TEXT: Stefan Pieper | FOTO: Stefan Pieper

„Musik ist eine elementare Kraft, die allen zur Verfügung steht“ sagt Wilfried Schaus-Sahm, der einst das Duisburger Traumzeit-Festival begründete und heute neue Wege geht. Denn zwanzig Jahre Erfahrung als Festival-Macher inklusive einer Menge Kontakte sind doch eigentlich zu schade, um damit nicht weiterzumachen. Und während ein großes Duisburger Pop-Festival den alten Namen für sich vereinnahmt hat, um damit vor allem die Zuschauerzahlen zu maximieren, so hat Wilfried Schaus-Sahm ein neues Festival ins Leben gerufen - eben damit die elementare Kraft der Musik direkt zu den Menschen kommt. Bislang im kleinen, aber feinen Rahmen, aber doch mit so viel Erfolg, dass aus der eintägigen Debut-Veranstaltung des letzten Jahres nun doch ein dreitägiges, international besetztes Festival geworden – wenn das mal keine Wachstumsbilanz ist! Und die zweiten Marienthaler Festspiele im neuen Ambiente des altehrwürdigen Schlosses Diersforth kamen sehr wohl als „gesellschaftliches Ereignis“ daher, was dem Festivalleiter so wichtig ist. Schön, dass seitens der Sponsoren und der lokalen Politik am Niederrhein so viel freundliche Kooperation vorhanden ist!

Das Ehepaar Petra und Axel Beichert, dem die Schlossanlage Diersforth gehört, hat dem Festival diese neue Örtlichkeit geschenkt: Weites Land drumherum. Inmitten davon ein kleines, etwas verwunschen wirkendes Schloss mit genau der richtigen charmanten Patina für stimmungsvolle Sommerabende. Das Publikum folgte den angekündigten prominenten Namen, ließ sich treiben und tauchte ein. Viele Konzerte boten Weltklasse. Und die Musiken wuchsen über sich selbst heraus.

Der persische Solotrommler Reza Mortazavi spielt auf zwei kleineren Trommeln und einer größeren Rahmentrommel. Und erzeugt dabei eine assoziative Welt aus Klängen und Impulsen, die nun kaum etwas mit klassischen Traditionen und schon gar nichts mit Folklore zu tun hat. Knochentrockene Texturen in einer atemberaubenden Präzision erinnern manchmal fast schon an elektronische Rhythmen. Aber dann legt er vibrierende Geflechte voller polymetrischer Impulse darüber, als wollte er mal eben mit einem ganzen Perkussionsensemble sein Publikum einsaugen. So geht improvisatorischer Wagemut, so entfaltet sich konzentrierte künstlerische Freiheit! Um diese ohne Grenzen leben zu lassen, hat Reza Mortazavi Berlin als Wahlheimat auserkoren.

Wilfried Schaus-Sahm brachte schon auf dem Traumzeit-Festival die musikalische mit der visuellen Ebene zusammen. Die Geburtsstunde der Marienthaler Festspiele im letzten Jahr ging aus einem neuen Vertonungsprojekt hervor, wo der katalanische Bass-Virtuose Renaud Garcia-Fons den fast 100 Jahre alten Scherenschnitt-Stummfilm „Die Abenteuer des Prinzen Achmed“ von Lotte Reininger zum Klingen brachte.

Aktuell huldigt nun ein Kompositionsauftrag für Dirk Raulf dem landschaftlichen Aspekt, eben der „Heimat“ dieses Musikereignisses. Um das Thema Wasser und Flüsse sinnlich zu reflektieren war bei der Uraufführung mit Dirk Raulf ein echter Spezialist in Sachen multimedialer Konzepte am Werk. Saxofone (mit dabei unter anderem Wollie Keiser und Jan Klare) entfalten ihre blühende Klangpracht, feinsinnige elektronische Klangwelten von Frank Schulte sorgen für Bewegung, Glanzlichter, Brechungen und ganz viel Lyrik. E-Gitarren und Rhyhmustgruppe treiben den Fluss voran – „flussabwärts“ geht es hier. Genau genommen in jeder Minute einen Halbtonschritt nach unten, im 60er Metronomtempo und genau 60 Minuten lang. Eingebettet in diesen Fluss finden sich Songs zum Thema Wasser – etwa von Nick Cave, Tom Waits, Randy Newman oder auch Goethe. Meret Becker konnte hier als Solistin gewonnen werden – neben ihrer Stimme versetzen die flirrenden Melodiebögen, die sie auf ihrer singenden Säge streicht, in regelrecht sphärische Dimensionen.

Derweil ist ein entspannter Joachim Kühn auf dem Schloss angekommen. Sichtlich begeistert zeigt er sich von dem Ambiente und formuliert auch sein Anliegen: „Wir spielen zwar schon seit 7 Jahren zusammen und das ganze lebt vom menschlichen Miteinander. Und alles entwickelt sich alles beständig weiter und wir erfinden uns neu.“ Also ist auch hier alles im Fluss. Und dieser reißt vehement mit, stürmt voran, spült drei sprühende, kreative Charakterköpfe in ungezügelter, ausgelassener Interaktion an seine wirbelnde Oberfläche. Kühns sowohl von Bach, aber auch vom zeitgenössischen Jazz und in diesem Fall stark von andalusisch-orientalische Stilen durchtränkte Klavierphrasen explodieren an diesem Abend regelrecht. Majid Bekkas und Ramon Lopez beflügeln, beantworten und verdichten dies.

Da muss sich ein Jacky Terrason am nächsten Tag erstmals in die akustischen Gegebenheiten hineinhören. Zu Beginn seines Auftritts läuten die Glocken der Schlosskirche. Doch für Terrrason ist dies keine Störung, sondern umso mehr eine Inspirationsquelle. Er horcht in die Schläge hinein, umspielt sie erst zart, dann vehementer, legt harmonische Glockenschläge darüber – impressionistische Mischklänge, wie sie aus einem Debussy-Stück kommen könnten. Und er zeigt sich als Meister im rasend dichten, eruptiven Ausfigurieren von Themen, Melodien und Gedanken, nutzt dabei komplexe klassische pianistische Verfahren und dies in einer so traumwandlerischen improvisatorischen Leichtigkeit.

Dass der moderne Jazz und die alte Musik sehr nah beieinander liegen ist eine ausgemachte These. Ganz neu erfahrbar wird diese Wahrheit durch Michel Godards aktuelles Projekt: Eng zusammenrücken musste man in der kleinen Schlosskirche am Sonntagnachmittag. Und es brauchte eine Zeit, bis die Musiker so richtig auftauten und dann um so mehr mit einer wundersamen Welt voller Intimität und Emotionen den Kirchenraum ausfüllten. Wie sinnlich, diesseitig, ja oft romantisch ist doch die Musik von Claudio Monteverdi. Zumindest, wenn so begnadete Musiker diese auf dem Serpent oder der Schalmei, mit Lauten, Gesang und E-Bass zu Ausführung bringen, neu beleuchten und mit improvisatorischer Fantasie weiterdenken. Und dabei eben alt und neu miteinander vereinen.

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