Festival für modernes Hören
Schönes Wochenende in der Tonhalle
TEXT: Uwe Bräutigam | FOTO: Susanne Diesner
Das Festival für modernes Hören in der Düsseldorfer Tonhalle hat in diesem Jahr Musik als Raumerfahrung zum übergreifenden Thema gemacht.
Uwe Sommer-Sorgente, der Dramaturg der Düsseldorfer Tonhalle, näherte sich auf sehr unterschiedliche Weise dem Thema: Musik im Raum.
An drei Tagen (29.-31.1.16) und in fünf Konzerten hörten die Besucher des Festivals nicht nur Musik, sondern erlebten wie der Raum in den Prozess des Musizierens einbezogen wurde.
Eröffnet wurde das Festival im Mendelsson-Saal vom Ensemble Musikfabrik aus Köln, das sein 25 jähriges Bestehen feierte. Der Titel des Abends lautete: Sonic Spaces.
Das Ensemble Musikfabrik führte das Werk „Hièrophanie für Sopran und Ensemble“ (1970/71) des kanadischen Komponisten und Stockhausen Schülers Claude Vivier (1948-1983) auf. Schon der Titel „Hièrophanie“ (das Erscheinen des Heiligen in der Welt) deutet auf den mystischen Hintergrund der Komposition. In diesem Werk, wird der Einbruch des Heiligen in die profane Welt, durch Zwischenrufe von Namen ägyptischer und griechischer Götter, sowie dem Einflechten eines altgriechischen Hymnos und des lateinischen „Salve Regina“ ausgedrückt. Immer wieder brechen Schreie in den Verlauf der Musik ein.
Bei der Aufführung wurde der traditionelle Bühnenraum erweitert. Die Sopranistin stand im Publikum und an verschiedenen Orten im Parkett spielten MusikerInnen, nur Bläser und Schlagwerker, und symbolisieren das Aufscheinen des Heiligen in den unterschiedlichen Kulturen und Religionen der Welt. Auch der Einsatz von japanischen und tibetischen Tempelmusikinstrumenten, wie der großen Fischtrommel, unterstreicht diese Idee, die von dem Religionswissenschaftler Mircea Eliade inspiriert wurde.
Nicht nur das Heilige hat seinen Raum in der Komposition, auch das Profane, das sich z.B. im Einbringen von Kinderliedern zeigt. Nicht nur musikalisch, ist die Kinderwelt einbezogen, sondern auch visuell als Performance wurde Spielzeug auf der Bühne eingesetzt, sparsam und nicht übertrieben, so dass die Aufführung nicht zum Klamauk verkam. Eine sehr dichte und geschlossene Aufführung, die durch die Aktivitäten im Raum nicht zerfleddert sondern bereichert wurde.
Im zweiten Werk des Abends, „Stasis. A spacial collage for 16 soloists““ (2011) von der englischen Komponistin Rebecca Saunders (*1967) wurde der Aktionsraum der MusikerInnen noch größer. Bis in die oberen Ränge wurden temporäre Klangstationen gebildet, die die 16 Musikerinnen, nun sind auch StreicherInnen und ein Pianist im Einsatz, zeitweilig bespielten. Inspiriert wurde die Komposition von Becketts Text „Still“, in dem der Protagonist, den Kopf dem Sonnenuntergang zugewandt hat und das Einbrechen der Dunkelheit beobachtet. Die Tonhalle verwandelte sich eine Klangskulptur, die durch entsprechende Beleuchtung zusätzlich betont wurde. Ein spannender Ansatz, der zeitweise, bedingt durch die Größe der Halle und entsprechend unterschiedlich lauten Tönen, verloren ging. Der weiträumige Ortswechsel und viele leise Klänge machten es dem Publikum, trotz der großartigen Leistung des Ensemble Musikfabrik, nicht leicht die Konzentration über 50 Minuten aufrecht zu halten.
Am Samstag gab es ein Konzerte am Nachmittag und eines am Abend. Der Titel des Nachmittags war: 4 Rooms. Das Konzert fand in der Rotunde statt und wurde von Sarah Nemtsov (*1980) mit den MusikerInnen des Solistenensemble Kaleidoskop gestaltet. Auch hier gab es Bewegung der MusikerInnen im Raum, Musik an verschiedenen Stationen und den Einsatz von Licht.
Das Solistenensemble hat im Bereich der Neuen Musik ein ganz eigenes Profil. Das Ensemble verbindet alte Musik des 17. und 18. Jh. mit zeitgenössischer Musik. Im Konzert wurden die Werke der Barockkomponisten Bach, Biber, Muffat, Mealli, Barrière und Wassenaer ebenso gespielt, wie György Ligeti oder ein Werk von Sarah Nemtsov. Die alte und die neue Musik gingen ineinander über. So ging die Barocksonate „Sonata La Cesta op3 Nr. 2“ von Mealli (1624-um1687) ohne Pause in Ligetis Cembalowerk „Passacalia ungerese“ über. Dabei wurden die Barockkompositionen nicht “werkgetreu“ gespielt, sondern bearbeitet und verändert. Zwei Stücke wurden parallel gespielt, neue Passagen wurden in die alten Stücke integriert und vieles mehr. Es gelang Sarah Nemtsov und dem Solistenensemble Kaleidoskop aus sechs Barockwerken und zwei zeitgenössischen Kompositionen ein neues einheitliches Werk voller lebendiger Windungen und Wendungen zu gestalten. Was das Publikum zu hören bekam, war das Gegenteil von Eklektizismus, es entstand ein Werk, das sowohl im Barock als auch in der Musik in der Gegenwart gründet. Oder neudeutsch könnte man sagen: Barock for today.
Die Bewegung der MusikerInnen im Raum hatte durch den kleineren Raum und die größere Nähe zum Publikum eine große gestalterische Kraft, die die verschiedenen musikalischen Aktivitäten szenisch unterstrich.
Der Samstagnachmittag mit dem Solistenensemble Kaleidoskop war einer der Höhepunkte des Wochenendes.
Auch im abendlichen Konzert unter dem Titel: Kathedralen, gab es ein miteinander von alter und neuer Musik.
Die Kölner Vokalsolisten sangen die „Messe de Nostre Dame“ (1360) von Guillaume de Machaut (um 1300-1377), die für die riesige Kathedrale in Reims komponiert wurde. Diese Messe ist die frühste vierstimmige Messvertonung aus einer Hand.
Die einzelnen Abschnitten der Liturgie wechseln sich ab, mit dem Werk „Machaut-Architektur“ des Spaniers Josè Maria Sànchez-Verdù (*1968), in dem er dem inneren “Bauplan“ der Musik von Machaut nachspürt, in der sich die Architektur der Kathedrale widerspiegelt. Das notabu.ensemble neue musik unter dem Dirigenten Mark-Andreas Schlingensiepen spielte das Werk des spanischen Komponisten, in dem die leisen Töne vorherrschen. Der Wechsel des Messgesangs aus dem 14. Jh. mit der zeitgenössischen Musik von Sànchez-Verdù erzeugt eine Spannung zwischen Vergangenheit und Gegenwart, die dem Konzert eine besondere Tiefe gab.
Im zweiten Teil des Konzertes singen die Kölner Vokalsolisten drei Madrigale des Italieners Carlo Gesualdo (1566-1613). Gesualdo insziniert in seinen Masrigalen eine dramatische Polyphonie mit ungewöhnlichen Harmonien. Die ZuhörerInnen hielten zeitweise förmlich die Luft an, ob der Dichte der Madrigale. Ein weiterer Höhepunkt des Festivals.
Als moderner Gegenpart spielte das notabu.ensemble die “Tragoedia“ (1965) des britischen Komponisten Harrison Birtwistle (*1934). Ausgangspunkt dieser Komposition ist Dramentheorie des Aristoteles. Hier sind die einzelnen Instrumente scharf akzentuiert und spielen nur selten zusammen. Schroffe Gegensätze der Instrumente bestimmen die Komposition.
Der letzte Tag des Festivals hatte einen ungewöhnlichen Raum im Programm. Das Trio Beck (Klarinette/Bassklarinette), Imhorst (Bass) und Kassl (Akkordeon) spielte ein Konzert auf einem Ausflugsschiff auf dem Rhein. Werke von Jukka Tiensuu, Miro Dobrowolny, John Zorn und anderen werden auf einem schaukelnden Schiff dargeboten.
Das Abschlusskonzert des Festivals unter dem Titel: Twilight spielten die Düsseldorfer Symphoniker unter Leitung von Baldur Brönnimann. Klassiker der Moderne, Charles Ives (1874-1954) und Arnold Schönberg (1874-1951), standen auf dem Programm. Und mit “Twill by Twilight (1988) von Toru Takemitsu (1930-1996) und der kraftvollen und manchmal furiosen Musik des Finnen Magnus Lidberg (*1958) klingt das Wochenende aus.
Das Festival eröffnete dem Publikum neue Erfahrungsräume für Musik, sowohl für zeitgenössische Musik, als auch für den Dialog von alter mit neuer Musik. Der Raum als Leitmotiv führte die Zuhörerinnen in Klangräume und Klangskulpturen und lies den räumlichen Charakter von Klängen manches Mal neu erleben. Die Veranstaltung „Schönes Wochenende“ hat ihren Untertitel auf vielfältige Weise eingelöst.
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