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Faszinierendes Hörkino

Jens Thomas und Matthias Brandt

Recklinghausen, 26.09.2013
TEXT: Stefan Pieper | 

Der Rezitator und Schauspieler Matthias Brandt sowie der Pianist Jens Thomas haben aus dem Drehbuch einen Erzähltext gemacht und erzeugten in einer szenisch-musikalischen Rezitation im Ruhrfestspielhaus alles, um verstörende Bilder ganz tief in die Fantasie einzubrennen. Und wer zu den ganz wenigen Menschen gehört, die Hitchcocks legendären Thriller-Klassiker „Psycho“ noch nie gesehen haben, der hatte ihn spätestens nach diesen anderthalb Stunden im Ruhrfestspielhaus erlebt!

Von Anfang an ist es klar, dass hier etwas überhaupt nicht stimmt. Ein einsames Motel auf einer verlassenen Landstraße, wo Norman, ein kaputter Mittvierziger in den Fängen seiner psychopatischen Mutter lebt. Eine allein reisende schöne junge Frau will hier während einer regnerischen Nacht unterkommen. Sie wird von Norman, der noch nie was mit Frauen hatte, heftig begehrt, was die Eifersucht der Mutter entfacht. Dann kommt es zum bestialischen Mord an der Schönen, als diese gerade genüsslich duschen will. Das alles ist Filmgeschichte - die nun auf der Bühne, allein mit Stimme, Worten und Musik inszeniert wird, dass man hautnäher kaum dran sein könnte! Matthias Brandt durchlebt jedes einzelne Wort und fühlt sich in die Charaktere ein, dass es schon fast wehtut. Jens Thomas singt phasenweise einige kommentierende Songs. Aber die meiste Zeit erzeugt er lyrische bis bedrohliche Hintergrundklänge mit allem, was auf den Flügelsaiten Töne und Geräusche erzeugt. Was für ein Gespür für fesselnde Spannungsbögen hat doch dieser Musiker! Thomas reichen oft minimale melodische Motive, die er unablässig wiederholt, die sich manchmal zu alles verschlingenden Kaskaden aus gehämmerten, in die Tasten gemeißelten Akkorden steigern.

Und es wird immer noch heftiger auf der Bühne. Brandts Stimme lässt in gellenden Schreien das Blut in den Adern gefrieren. Thomas schlägt auf die Saiten im Maschinengewehrstakkato, als es zur Mordszene in der Dusche kommt. Dann plötzlich Stille. Nach der Bluttat soll alles vom Mantel des Vergessens überdeckt werden, kehrt der einsame Mann in die Abhängigkeit seiner Mutter zurück. Schon wollen einige im Publikum zu klatschen anfangen. Dann zerreißt ein markerschütternder Schrei wieder alles. Erst jetzt wird das Ausmaß des ganzen Horrors bewusst. Norman selbst ist der Mörder und die phychopathische Mutter die Ausgeburt der eigenen schizophrenen Projektion. Jens Thomas und Matthias Brand haben Hitchcocks Drehbuch in ein extrem suggestives Live-Erlebnis „übersetzt“ - und damit wieder ganz großes Kino geschaffen. Nicht minder das Blut in den Adern gefrieren ließ de Zugabe: Mit Falsettstimme und subtiler Klaviertranskription des AC/DC-Klassikers schickte Jens Thomas das Publikum auf den finalen „Highway to Hell“ – dazu ließ Matthias Brandt nochmal die drastischsten Momente der Erzählung in einer Collage Revue passieren!

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