Bild für Beitrag: Farewell Tony Allen! | Rückblick auf eine Sternstunde in Köln im letzten Jahr
Bild für Beitrag: Farewell Tony Allen! | Rückblick auf eine Sternstunde in Köln im letzten Jahr

Farewell Tony Allen!

Rückblick auf eine Sternstunde in Köln im letzten Jahr

Köln, 06.05.2020
TEXT: Stefan Pieper | FOTO: Stefan Pieper

Farewell Tony Allen! Der nigerianische Drummer erfand in den 1970er-Jahren gemeinsam mit Fela Kuti das Genre Afrobeat und wurde von nicht wenigen als „der beste Schlagzeuger der Welt“ hochgelobt. Am vorigen Freitag ist Tony Allen im Alter von 79 Jahren verstorben.

"Ich will einfach nicht stagnieren und mich langweilen. Man kann nicht immer das Gleiche tun!“ Dieses Credo hat Allen noch im letzten Jahr beim Kölner Acht-Brücken-Festival konsequent umgesetzt – im Rhythmus-Dialog mit der Techno-Legende Jeff Mills und verstärkt durch den Keyboarder Jean-Philippe Davry.

Eine Review aus dem letzten Jahr:

Der Schlagzeuger Tony Allen hat derweil die legendären Stücke des Afrobeat-Gottes Fela Kuti überhaupt erst dazu gebracht, so zu funktionieren, wie sie es tun. Denn wo bliebe deren magischer Groove ohne Allens typische Snaredrum-Sykopen? Jeff Mills hat in Detroit den Techno mitbegründet – seine Tracks weisen jene unverkennbaren Merkmale auf – bestimmte rhythmische Betonungen, charakteristische Wendungen und Klangfarben.

Noch mehr Farbe ins Spiel bringt in der Kölner Philharmonie der Keyboarder Jean-Philippe Davry. Ein spacig verhalltes Fender Rhodes macht gleich zu Beginn den Horizont weit. Das produziert jene futuristisch- historische Aura, bei der sich jetzt noch ein Miles Davis hinein beamen könnte und schon wären wir mitten in „On the Corner“ drin. Im nächsten Moment sind solche Assoziationen aber schon wieder weggeblasen. Denn unter den Händen dieser drei erfahrenen und stilprägenden Musiker passiert einfach unendlich viel - klanglich, rhrythmisch, sinnlich!

Unerbittlich zischelnde Highhats, eine verhallt hochgepitchte Splash, eine gegenläufige Figur der Bassdrum nehmen ihre Arbeit auf. Ein einzelner Snaredrum-Schlag funkt kühl dazwischen. Jeff Mills Finger und Hände auf der Roland TR 909, diesem analogen Drumcomputer, der Ende der 1980er Jahre auf den Markt kam, sind in unablässiger Bewegung. Tony Allen klinkt sich mit Rimshots und einer polternden Bassdrum ein. Das ist eine hyperperäzise Mechanik, lebt die Magie einer repetitiven Struktur, in der in jedem Moment etwas anderes, unberechenbares passiert. Jeff Mills ist der dominierende Ideengeber, dessen Rhythmusfiguren und Sound-Einsprengsel nicht selten wie aus einer anderen Galaxis anmuten. Tony Allen „antwortet“ vor allem mit poltenden Schlägen auf den tiefen Trommeln und zischelnden Rimshots. Auch Jeff Mills, der auf dieser elektronischen Wunderkiste jeden Drumsound beliebig verändern, verzerren und hochpitchen kann, bleibt doch ein „Schlagzeuger“ in diesem Spiel. Er „spielt“ diese Maschine als autonomes Instrument und so live wie möglich, traktiert Tasten, als wären es Trommeln, verändert Dynamik und Frequenzgänge. Aber: „Wenn wir auf Maschinen spielen, sollten wir immer daran denken, dass im Publikum keine Maschinen, sondern Menschen sitzen“ formulierte der Amerikaner sein Credo in einem lesenswerten Interview im DJ-Magazin „Mix-Mag“.

Gerade überziehen Synthesizerklänge, die der House-Musik ihr Flair verleihen, das Firmament, während sich rhythmische Phasen wie in der Minimal Music überlagern. Drive ist ein Thema, mit der die Dichte an rhythmischen Interventionen immer mehr zunimmt, ohne dass an Lautstärke oder Tempo geschraubt werden braucht. Ganz selbstverständlich „zerplatzen“ alle musikalischen Genrebegriffe dabei: Manchmal ist es Jazz im allerfeinsten Sinne, was die rhythmische Fantasie der beiden hervorbringt, dann wieder hypnotisierender Techno, wenn Jeff Mills mit seinen Lieblingswendungen, Beats und Handclaps über dieses Klanguniversum herrscht. Die musikalischen Ideen des anderen aufnehmen, ins eigene Spiel integrieren und daraus etwas neues zu machen: Hier sind zwei Ausnahme-Musiker auf dem schmalen Grat zwischen Konfrontation und Symbiose unterwegs.

In einer kurzen Zwischenansprache formuliert Tony Allen die Problematik dieses Ortes: „Warum sitzen hier alle still im Raum wie in einem Sinfoniekonzert?“ Viele, die sich das wohl schon die ganze Zeit gefragt haben, springen auf und beginnen zu tanzen, immer mehr folgen diesem Beispiel - ein kollektiver Befreiungsschlag! Schließlich ist sie aufgebrochen, jene hermetische Distanz zwischen denen da unten, die etwas aufführen und „Zuschauern“ auf der Tribüne, die jetzt endlich Teilnehmende geworden sind.

Suche