NRW MUSIKER*INNEN ganz groß
Starke Eindrücke von der Experimentale Troisdorf
TEXT: Uwe Bräutigam | FOTO: Frank Braquet
Die Experimentale im Kunsthaus Troisdorf ist ein kleines Festival für experimentelle Musik, dass jedes Jahr mit einem spannenden Programm aufwartet. Dieses Jahr kuratierte Frank Baquet wieder vier Konzerte mit vielen bekannten Musiker*innen aus der Szene der experimentellen und improvisierten Musik in NRW.
FEAR O`SHE EIN QUINTETT VON TANCRÈDE D. KUMMER
Die Formation Fear O´She ist ein Quintett um den französischen Schlagzeuger Tancréde D. Kummer. Die Musik für das Quintett hat Tancréde D. Kummer geschrieben. Ein Komponist, der in unterschiedlichen Bereichen musikalische Erfahrungen gesammelt hat, vom Duo mit Klavier und Schlagzeug mit einer Bearbeitung der Goldberg Variationen von Bach bis zu einem Klaviertrio im Bereich Jazz. Für die Band Fear O´She hat er die gesamte Musik minutiös auskomponiert, gibt aber seinen Musiker*innen Raum für Interpretation und Improvisation.
Die Bandmitglieder sind alle erfahrene Improvisationsmusiker*innen: Elisabeth Coudoux am Cello, Jeremy Viner an Klarinette und Saxofon, Felix Hauptmann am Piano, Roger Kintopf am Bass und Tancréde D. Kummer am Schlagzeug. Die Musik der Gruppe war eine Form von Neuer Kammermusik, mit kleinen Melodiebögen an Cello, Klarinette/Saxofon und Klavier. Eine durchaus eingängige Musik, die immer wieder durch unerwarteten Ecken und Kanten bestach. Trotz der notierten Form, entwickelten die einzelnen Musiker*innen eigene Initiativen und folgten ihrer Intuition. So entstand ein sehr kohärenter Ensembleklang von seltsamer und ungewohnter Schönheit.
DIE UNWUCHT – KOMPOSITION IM MOMENT
Während bei Fear O`She die Struktur und die Interaktion, bei aller Freiheit der Ausgestaltung, sehr genau vorgegeben war, ist die Unwucht ein Saxofon-Schlagzeug Duo, das sich ganz der Improvisation, der Komposition im Moment, verschrieben hat. Seit acht Jahren spielen Christopher Kunz an den Saxofonen und Florian Fischer an den Drums zusammen. Diese große Vertrautheit der beiden Musiker war während des Konzertes deutlich zu spüren. Meist führte das Saxofon die Musik und der Schlagzeuger ging sehr feinfühlig darauf ein. Umspielte das Saxofon und setzte behutsame Impulse. Überhaupt war das Schlagzeugspiel sehr filigran und dominierte in keiner Weise, selbst in den wenigen Solopassagen war das Schlagzeug eher zurückgenommen, was dem Duo sehr gut tat. Die erste Hälfte des etwa 50 minütigen Konzerts war dem Tenorsaxofon vorbehalten und die zweite Hälfte bestritt Christopher Kunz am Sopransaxofon.
Der erste Teil war etwas eingängiger und der zweite Teil deutlich experimenteller. Ein spannendes Miteinander von Saxofon und Schlagzeug mit immer neuen musikalischen Ideen. Man spürte nicht nur wie eng die beiden Musiker aufeinander bezogen waren, sondern auch ihre jahrelange Erfahrung mit improvisierter Musik.
TOXODON – TRIO MIT GITARRE, VIBRAPHON UND DRUMS
Toxodon ist eine vor 13 000 Jahren ausgestorbene Säugetiergattung, die einem riesigen Nashorn ähnlich sah. Drei Musiker*innen aus NRW, aus dem Ruhrgebiet, Rheinland und dem Bergischen Land haben diese ausgestorbenen Pflanzenfresser zum Bandnamen auserkoren.
Raissa Mehner an Gitarre und elektronischen Effektgeräten, Salome Amend am Vibraphon und Simon Camata am Schlagzeug verbergen sich hinter dem ungewöhnlichen Namen. Die drei haben 2023 auf dem Moers Festival zum ersten Mal zusammen gespielt, Open Air am Rodelberg.
Bei der Eröffnung stand das Vibraphon von Salome Amend im Mittelpunkt und Raissa Mehner begleitete mit leisen Geräuschen an der Gitarre, die sie mit einer Kette, die sie über Saiten zog, produzierte. Simon Camata setzte ebenfalls auf leise Töne. Langsam verdichtete sich dann die Musik. Die Gitarre kam mehr in den Vordergrund und das Schlagzeug wurde prominenter. Die Band spielte abwechslungsreiche improvisierte Musik. Das musikalische Spektrum reichte von abstrakten Klanggebilden aus einzelnen Tönen, über dronige Klangteppiche bis hin zu Blues- und Surfmusikelementen. Raissa Mehner setzte sich immer wieder auf den Boden und legte den Schwerpunkt von Gitarre auf elektronische Effekte. Sie spielte auch Mundharmonika, was den Bluessound betonte und gegen Ende gab es twangige Surf und Americana Klänge. Simon Camata kam mit immer neuen rhythmischen Figuren um die Ecke und auch Salome Amend bereicherte die Musik mit ihren erweiterten Techniken am Vibraphon. Eine sehr spannende Band, die mir schon in Moers aufgefallen war.
FRANK GRATKOWSKI UND SIMON NABATOV
Zu diesen beiden Musikern erübrigt sich eigentlich jeder Kommentar. Sie gehören zu den Spitzenmusiker*innen in der deutschen und internationalen Szene. Beide arbeiten seit Jahrzehnten in unterschiedlichen Formationen zusammen. Wir haben bei NRW Jazz viele Male über ihre Konzerte und Projekte berichtet. Allerdings als Duo hatte ich sie bisher noch nicht erlebt. Während sie in vielen Projekten lange Improvisationen, bis zu einer Stunde bevorzugten, setzten Gratkowski/Nabatov in Troisdorf auf kurze Sequenzen von wenigen Minuten.
Ihr Programm eignete sich auch als Anschauungsmaterial über den Umgang mit ihren Instrumenten und den entsprechenden erweiterten Techniken. Das letztere traf besonders auf Frank Gratkowski zu, der Klarinette, Bassklarinette und Altsaxofon abwechselnd spielte. Von nervösem Flattern, langen Haltetönen, Klappenklackern, Ansatzgeräuschen, Stimmgeräuschen, bis zu Multiphonics nutze er alle erweiterten Techniken an seinen Holzbläsern ein. Die eher kürzeren Improvisationen zeichneten sich durch eine unglaubliche Vielfalt an musikalischen Figuren aus.
Simon Nabatov stand dem bei der Bearbeitung seiner Tasten in nichts nach. Von monkishen Passagen über blitzschnelle Läufe bis zu perkussiven Spiel zauberte er immer neue Klänge aus dem Klavier, dazu setzte er elektronische Elemente ein, die das Klavier, wie ein Glockenspiel klingen ließ. Das waren zwei Meister der Improvisation, die das Publikum staunen ließen.
Fazit: Vier sehr unterschiedliche Konzerte, bei denen oft die feinen und leiseren Töne im Mittelpunkt standen. Frank Braque brachte auf der Experimentale 2025 in Troisdorf wieder ein hochwertiges Spektrum an experimenteller Musik zu Gehör und zeigte dabei auch wieder wie viele großartige Musiker*innen in NRW beheimatet sind.
Für die laufenden Konzerte siehe hier: