Es zählt der Flow

Leerik, das sind in erster Linie der Gitarrist Alexander Rink und Schlagzeuger Hendrik Lensing – viele dürften die beiden noch aus der Band „Filou“ kennen, einer Art Hausband im Dortmunder domicil. Das neue, 2018 gegründete Duo setzt den Weg einer kreativen Offenheit konsequent fort, geht es doch oft darum, einen oder mehrere Musiker in wechselnde Besetzungen zu „integrieren“. Beim Sommer-Open-Air der Ahlener Schuhfabrik nahmen sie den erfahrenen, in Münster lebenden Trompeter Christian Kappe in ihre Mitte.

Die Open-Air-Saison neigt sich ihrem Ende zu: Gerade hat ein starker Wolkenbruch dazwischengefunkt, aber dann können die Stühle auf dem improvisierten Parkplatz-Areal hinter dem Ahlener Soziokulturzentrum „Schuhfabrik“ aufgestellt werden. Handtücher werden gereicht. Kurz danach sind die drei Musiker und ihr Publikum in einer ganz anderen Welt angekommen. Denn eine solche entsteht, sobald Schlagzeuger Hendrik Lensing in präziser Taktung und einem fabelhaften Gespür für den Beat die Sache in Fahrt bringt. -Wenn Alexander Rink auf elektrischer Gitarre nebst Effekten seine Klangteppiche webt, mit sparsam eingestreuten Motiven lyrische Texturen ausbreitet und mit subtilen Atmosphären gerade die Hintergrunde in den räumlichen Klangbildern spannend macht. Das wirkt in diesem Moment so intensiv, gerade, weil sich bei Musikern und Publikum monatelange Live-Abstinenz aufgestaut hat. Auch für Christian Kappe waren die letzten Monate eine neue Erfahrung in seinem langen Dasein als Profi-Trompeter. Immerhin hatte der gebürtige Beckumer seit 30 Jahren ununterbrochen mindestens einmal pro Woche auf einer Live-Bühne gestanden – bis März 2020! Jetzt ist es wieder soweit – er lässt sich fallen und die Freude steht ihm ins Gesicht geschrieben, wie er sich einklingt in die repetitive Rhythmik, bei der Dub, Hiphop und Funk Pate stehen, lässt sich von den pumpenden Basslines antreiben, baut darauf schillernde Traumschlösser aus modalen Tonskalen auf, lässt den Sound in allen Schichten und Nuancen facettenreich erstrahlen. Immer wieder anders, immer wieder neu, dabei immer auf eine stringente Richtung fokussiert. Herrlich physisch, aber mittendrin auch immer wieder melodiöse, auf dass es die Seele wärmt. Eine durchgängige Struktur in immer neuen Schattierungen erstahlen lassen, sie aus verschiedenen Richtungen immer wieder anders spielerisch beleuchten, das ist die Qualität dieses Abends und das macht wahre Improvisationskunst aus, bei der im Falle von Christian Kappe und Leerik die perfekte Beherrschung von Instrumenten und Technik das unerschütterliche Fundament ist.

Großartig, dass auch in Ahlen eine Kooperation zwischen dem Kulturbüro und den Machern des Soziokulturzentrums einen gehaltvollen Kultursommer ermöglichte, den es so vorher wohl noch nicht gab. So etwas tut letztlich auch dem Jazz gut, da er in neuen Kontexten wahrnehmbar wird. Glückliche, den ganzen Auftritt lang vor sich hin strahlende Musiker und ein gebannt lauschendes, sich in höhere Sphären forttragen lassendes Publikum entlohnten den planerischen Mut für solche Draußen-Veranstaltungen reichlich. Als Zugabe spielten Leerik und ihr prominenter Gastmusiker ein Stück ihres Sets abermals. Keine Frage: Da sich schon wieder viele Ideen spontan aufbauten, wurde eine komplett neue Nummer draus.