Es rappelt im (Schuh-)Karton
Mo’ Blow im Bochumer Dampfgebläsehaus
TEXT: Heinrich Brinkmöller-Becker | FOTO: Heinrich Brinkmöller-Becker
So geht aktueller Jazz: Man nehme eine junge, mittlerweile international bekannte und tourende Band, bewährte 70er-Jahre-Grooves im Funk-Stil, eingängige Rhythmen, eine energiegeladene Performance, versierte und pfiffige Musiker mit jazzaffiner Grundausstattung, man stellt einen außergewöhnlichen Raum zur Verfügung, der sich für diese Art von Clubmusic besonders eignet. Man gewinnt: Einen rundherum gelungenen Abend mit tanzbarer Musik und gekonnten Soli. So geschehen am gestrigen Sonntag in Bochum. Das Dampfgebläsehaus – zum Komplex der Jahrhunderthalle gehörig – öffnete die Pforten für eine neue Veranstaltungsreihe „KulturLife im Dampfgebläsehaus“, eine mutige und gelungen anmutende Idee, den großzügigen Industriebau in der architektonischen Grundstruktur eines langgezogenen Schuhkartons mit einem Fassungsvermögen von bis zu 190 Gästen für „Club-Events“ zu öffnen.
Die Berliner Gruppe ‚Mo’ Blow’ macht von Beginn an richtig Dampf: Felix F. Falk an den Saxophonen (Bariton, Alt und Sopran), Tobias Fleischer am E-Bass, André Seidel an den Drums und als Gast am Fender Rhodes der Bayer Lorenz Kellhuber zünden ein Feuerwerk des Funk. Das Programm speist sich aus den beiden bei ACT erschienen CDs: ‚For those about to Funk’, 2011 von keinem Geringeren als Nils Landgren produziert, der sich auch selbst instrumentell an den Aufnahmen beteiligte, und dem gerade herausgegebenen Album ‚Gimme the Boots’, wieder von Nils Landgren produziert.
Die musikalischen Muster, die verwendeten Grooves entsprechen den Erwartungen an eine Funk-Gruppe, wie man sie eben von Nils Landgren oder dem Bill Evans der 80er Jahre kennt. Dabei gelingt dem Quartett eine hochenergetische Weiterentwicklung, die zum einen zu tun hat mit einer großen Virtuosität und Kreativität im Solistischen aller Bandmitglieder, zum anderen mit dem Einsatz von Effektgeräten. „Klassische“, fast schon gefällige Funk-Grooves werden intelligent mit Mitteln aus der Trickkiste von Soundeffekten etwa beim Sax, dem Bass oder den Drums verwoben. So setzt Felix F. Falk den Sequenzer ein, um Atem- und Klappengeräusche des Alt-Saxes zu loopen und darüber perkussive Sounds zu legen. So wird eine Voodoo-Atmosphäre erzeugt, die den Grundtenor für eine magisch schwebende und dabei vorwärtstreibende Musik legt. Ähnliches gilt für den Bass von Tobias Fleischer mit einem ebenfalls mit einem Sequenzer erzeugten mehrstimmigen Bass-Solo. Hervorragend auch der Drummer André Seidel, der dem treibenden Funk-Rhythmus häufig raffinierte Variationen einhaucht.
Natürlich „kocht“ der Saal, wenn auch nicht – wie Felix Falk von der offensichtlich abenteuerlichen Tournee durch 10 Länder (!) berichtet – ein russischer Botschafter durch die Musik animiert und nach einer langen und wohl auch durchgezechten Nacht einen Veitstanz auf der Bühne aufführt. Die Musik von Mo’ Blow turnt an, das Publikum ist nicht von ungefähr im Durchschnitt jünger als die gängige Zuhörerschaft bei Jazz-Konzerten. Die energiegeladene Performance des Quartetts gipfelt in dem Sprung von Felix Falk von der Bühne – man stelle sich vor: mitten im kraftvollen und virtuosen Spiel auf dem Bariton-Sax und mit demselben um den Hals!