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Es nicht unbedingt Jazz sein

33. Festival International de Jazz de Montréal

Montreal, 07.07.2012
TEXT: Christoph Giese | FOTO: Montreal Jazz Festival

Der Tag hätte für die vielen in Montreal lebenden Italiener nicht besser laufen können. Zuerst schickt die „Squadra Azzurra“ die deutsche Fußballnationalmannschaft von der Europameisterschaft mit ihrem Sieg im Halbfinale nach Hause und am Abend schaut Jovanotti im „Club Soda“ vorbei. Ja, Jovanotti, der Römer, der mit seinem so geschmeidigen „Serenata Rap“ schon 1994 auch die deutschen Charts eroberte. Aber wer konnte damals und kann auch heute dieser so zauberhaft und entspannt gerappten Liebeserklärung auf Italienisch widerstehen? Nun steht Jovanotti auf der Bühne des engen Clubs in Downtown Montreal und bringt die Fans zum Toben. Natürlich auch mit seinem Megahit, aber vor allem mit einer grandiosen, energiegeladenen Show, die den Italiener als feurigen Live-Act in ein ganz anderes Licht rückt.

Beim „Festival International de Jazz de Montréal“ muss es nicht unbedingt Jazz sein. Sogar die Elektronik-Pioniere von Tangerine Dream spielten in diesem Jahr in der Millionenmetropole in Kanadas Osten. Die zweitgrößte Stadt des Landes, nach Paris auch die zweitgrößte frankophone Stadt der Welt, gibt sich in der 33. Ausgabe seines einzigartigen, weltweit größten Jazzfestivals, das mit circa 3.000 Musikern, die in 1.000 Veranstaltungen, davon etwa 2/3 open air und gratis, in diesem Jahr an 10 Tagen circa 2 Millionen Besucher aus aller Welt auf das ein Quadratkilometer große Festivalgelände mitten im Herzen der Stadt lockt, sehr weltoffen. Bob Marley-Sohnemann Ziggy schaut vorbei, ebenso wie Liza Minnelli, Seal oder Norah Jones – allesamt nicht wirklich als Jazzer bekannt.

Das ist auch Melody Gardot nicht, auch wenn wie jetzt in Montreal bei ihrem Konzert die Liebe zu den Blue Notes immer wieder in den Soli ihrer Bandmitglieder durchschimmert. Die US-Amerikanerin kam erst nach einem Verkehrsunfall vor neun Jahren, bei dem sie schwere Kopf- und Wirbelsäulenverletzungen erlitt, und der sie seitdem zum Gehen mit dem Stock und dem Tragen von abgedunkelten Brillen zwingt, so richtig ans Singen. Seitdem schreibt sie wundervolle, toll arrangierte Songs zwischen mehreren Genres. Lieder voller Sinnlichkeit, die auch mal ein seelenvolles Cello-Solo vertragen oder eine schluchzende Klarinette, die ganz intim berühren oder mit Lebensfreude prächtig unterhalten.

Über zwei Stunden beste Unterhaltung bietet auch „Flamenco Hoy“, die aufregende Flamenco-Show choreographiert vom berühmten spanischen Regisseur Carlos Saura. Eine neue Generation des Flamenco zeigt sich in Tanz, Gesang und Musik unter der musikalischen Leitung des renommierten Flamenco-Jazzpianisten Chano Dominguez. Diese Show zeigt Flamenco als Ausbruch von Emotionen, na klar. Aber sie zeigt ihn auch als sinnliche, stellenweise beinahe zärtliche Kunstform. Ein echtes audiovisuelles Erlebnis. Im ganz intimen Rahmen, einem kleinen Foyer, verzaubert derweil der brasilianische Songwriter, Sänger und Gitarrist Márcio Faraco, der nur Philippe Baden Powell, den Sohn des bedeutenden brasilianischen Gitarristen Baden Powell, am Piano an seiner Seite hat bei seinen wunderschönen, sanften Bossa Novas und anderen Liedern.

Natürlich erklingt auch Jazz beim Festival, das sich stilistisch inzwischen weit in alle Richtungen hin geöffnet hat. Auch weil es nur mit Jazz alleine schwierig wäre, so ein Riesen-Festival erfolgreich zu betreiben, wie Johanne Bougie, eine von fünf Verantwortlichen fürs Programm, zugibt. Heftig umjubelt wurde das Projekt „Miles Smiles“. Trompeter Wallace Roney, Saxofonist Bill Evans, Organist Joey DeFrancesco, Bassist Darryl Jones und Schlagzeuger Omar Hakim, alles ehemalige Wegbegleiter der Jazzlegende, ließen für zwei Stunden noch einmal die spätere, elektrische Phase von Miles Davis aufleben in Stücken wie „Maze“ oder „Jean Pierre“. Mit vitalem Fusion-Jazz, der alleine durch die Klasse der Beteiligten keineswegs angestaubt klang. Auch Wayne Shorter hat viel mit Miles Davis gespielt. Mit seinem eigenen fantastischen Quartett zeigte der schon 78-Jährige in Montreal melodisch kraftvolle Musik im ständigen, improvisierten Kompositionsprozess.

Wer einfach nur einen schönen Tag auf dem großen Festivalgelände verbringen möchte, auch der ist bei diesem Jazzspektakel am richtigen Ort. Denn überall wartet etwas Unerwartetes. Artisten aller Couleur zeigen kostenlos ihr Können. Es muss auch in Montreal nicht immer nur Musik sein.

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