Erwärmende Musik im eiskalten Norden
Nordlysfestivalen in Tromsø
TEXT: Christoph Giese | FOTO: Jacek Brun, Knut Aaserud
Es dürfte wohl eines der nördlichsten Jazzfestivals auf diesem Planeten sein: Das Nordlysfestivalen oder auch Northern Lights Festival im norwegischen Tromsø ist seine wunderschöne Lage inmitten der atemberaubenden Landschaft des arktischen Nordens bekannt. Das Festival findet in der Regel am Anfang des Jahres statt und dauert mehrere Tage. Christoph Giese tauchte in die Magie des norwegischen Winters ein...
Sie nimmt einen mit auf eine Reise ins Innere und die Einsamkeit. Mit ihrer Musik, aber auch mit ihren Visuals, die im Bühnenhintergrund auf einer großen Leinwand laufen. Der Spielort für das berührende Konzert mit der nordnorwegischen Sängerin und Songschreiberin Marthe Valle ist dazu perfekt gewählt. Das Verdensteatret im Herzen von Tromsø ist das älteste in Nordeuropa noch als Kino funktionierende Lichtspieltheater, das noch aus Stummfilmzeiten stammt. Ein Saal mit Atmosphäre. Mit ihrer Auftragsarbeit Overlys, die nun beim Nordlysfestivalen die Premiere feiert, hat die Norwegerin ein gut einstündiges, durchgehendes Musikwerk geschaffen, das zarte norwegische Folklore in einen Kontext setzt, in dem Improvisation das Ganze spannend macht. Wunderbar die Interaktionen von Geige und Harfe, die behutsamen Töne vom Tastenmann oder auch die zugesetzten Sounds der Sängerin, die behutsam auch mit Elektronik hantiert. Aus all dem entstehen an diesem Abend verzaubernde Klänge. Der leicht rieselnde Schnee und das winterliche Ambiente in der Stadt holen einen vor der Theatertür erst langsam wieder zurück in die Realität nach diesem Auftritt.
Die Volksmusik Nordnorwegens öffnet sich dem Jazz
Auch Susanne Lundeng stammt aus Nordnorwegen. Die Geigerin, Sängerin und Komponistin präsentiert sich in einem intimen Konzertrahmen mit den beiden Jazzmusikern Nils-Olav Johansen (Gitarren) und Erik Nylander (Schlagzeug). Und spielt ausgehend von der Volksmusik Nordnorwegens mit ihrem Trio wunderschöne Lieder, die sich dem Jazz und der Improvisation herrlich öffnen, Verbindungen suchen und finden. Mal fragil, dann stürmisch, mit virtuosem Fiddle-Spiel und Gitarrenlinien. Ein wenig übertreibt sie an diesem Abend aber die Konversation mit dem Publikum zwischen den Liedern, die man ohne Norwegischkenntnisse ohnehin nicht versteht.
Gesprochen wird beim Auftritt der Tromsø Big Band nicht. Mit dem Stargast Nils Petter Molvær geht es im ausverkauften Kulturzentrum der Stadt nur um die Musik, um die Stücke, die Molvær für diesen Abend mitgebracht hat. Das semiprofessionelle Jazzorchester und der norwegische Trompetenstar, die ätherischen und atmosphärischen Trompetenlinien und eine manchmal vielleicht ein wenig zu undifferenzierte Klangwucht (aber hey, es steht eine Big Band auf der Bühne) – dieses Konzert zieht seine Spannungspunkte aus Kontrasten. Mit dann doch immer wieder interessanten Facetten, auch wenn nicht jeder Konzertmoment wahnsinnig spannend klingt.
Schuberts Schwanengesang mit nordischem Humor
Und wie man Franz Schuberts „Schwanengesang“ auch interpretieren kann, das zeigt beim Nordlysfestivalen das sehr unterhaltsame norwegische Duo frankågunnar. Sänger Frank Havrøy ist sich für keine, auch urkomische Dramatik zu schade, ohne das Ganze jedoch auch nur für eine Sekunde ins Lächerliche zu ziehen. Währenddessen zieht Pianist Gunnar Flagstad Schuberts Melodien immer wieder rüber in einen jazzigen Kontext. So entsteht in einem kongenialen Zusammenspiel der beiden Protagonisten ein köstliches Musikabenteuer auf einer kleinen Bühne, in Clubatmosphäre. Und genau in solch einem Rahmen sind frankågunnar einfach bestes Entertainment.
Ein Besuch des Nordlysfestivalen lohnt sich aber nicht nur wegen des interessanten Festivalkonzeptes. Das vor 35 Jahres als Klassikfestival gestartete Event hat sich längt in Richtung Folk und Jazz geöffnet - und zeigt sogar Tanz. Mit Heidi Beate Lekang hat eine junge Frau 2020 das Ruder übernommen und konnte in diesem Jahr ihre erste Ausgabe ohne irgendwelche Corona-Einschränkungen planen und durchführen. Aber natürlich ist das 344 km Luftlinie nördlich des Polarkreises gelegene Tromsø sowieso ein absolut interessantes Reiseziel. Mit zauberhafter, verschneiter Natur zum Zeitpunkt des Festivals. Und mit den so einzigartigen Nordlichtern. Da lässt man auch schon mal ein Solokonzert des norwegischen Pianisten und Schriftstellers Kjetil Bjørnstad ausfallen, um stattdessen raus aus der Stadt in die Dunkelheit der unberührten Natur zu fahren, um bei Eiseskälte auf das einmalige Spektakel der Nordlichter zu hoffen.